Saar Berger zum Abschied

Saar Berger im Gespräch mit Wolfgang Sandner

Wolfgang Sandner: Herr Berger, Sie verlassen im Januar 2024 das Ensemble Modern nach sechzehn Jahren. Gehen Sie mit einem weinenden und einem lachenden Auge?

Saar Berger: Ich gehe voller Emotionen. Ich habe in den sechzehn Jahren als Mitglied des Ensemble Modern so viel Schönes erlebt, so viel bekommen und war an so vielen Ereignissen beteiligt. Für mich war das keine leichte Entscheidung.

WS: Was hat letztlich den Ausschlag für Ihre Entscheidung gegeben?

SB: Die Entscheidung hängt mit der Berufung auf die Professorenstelle an der Musikhochschule in Trossingen im Jahr 2019 zusammen. Ich liebe das Unterrichten sehr und betätige mich auch schon lange Jahre pädagogisch, im Rahmen der Internationalen Ensemble Modern Akademie, aber auch privat, bei vielen Meisterkursen und Festivals. Das wollte ich weiterentwickeln, und dafür hatte ich die volle Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen sowie dem Management des Ensemble Modern, die mir eine Art temporären Sonderstatus für drei Jahre eingeräumt haben. In dieser Zeit konnte ich flexibler arbeiten und mich mehr auf die Arbeit in Trossingen konzentrieren, wo ich drei Jahre Probezeit hatte. Mein Wunsch wäre natürlich gewesen, in Zukunft beides zu machen. Aber bei einer Vollmitgliedschaft im Ensemble Modern geht das nicht, eine volle Lehrtätigkeit mit zu übernehmen.

WS: Werden Sie neben Ihrer Professorenstelle in Trossingen noch Zeit haben, solistisch zu spielen, vielleicht auch beim Ensemble Modern gelegentlich weiter mitwirken? Wie sieht in dieser Hinsicht Ihre Zukunft aus?

SB: Ja, neben der Arbeit als Hornlehrer in Trossingen bleibt mir das Horn selbst immer wichtig. Ohne Horn kann ich nicht sein. Auch wenn es keine Dienste, Projekte oder Proben gab, war ich immer in der Schwedlerstraße und habe geübt, für mich alleine, bis spät nachts und morgens. Das war meine geheime Dienstzeit. Ich war immer neugierig auf neue Entwicklungen, neues Repertoire, und das wird auch so bleiben. Vielleicht werde ich sogar mehr Zeit haben für meine Leidenschaft, das Solorepertoire weiterzuentwickeln, Aufträge zu vergeben. Das Ensemble Modern zu verlassen, betrübt mich natürlich sehr. Es ist eine fantastische Gruppe, und ich liebe sie sehr. Ich bin glücklich, dass wir im März ein Abschiedskonzert planen – mit meinen Kolleginnen und Kollegen vom Ensemble Modern sowie Hornistinnen und Hornisten der Internationalen Ensemble Modern Akademie, die über die Jahre bei mir studiert haben.

WS: Mittlerweile sind Sie seit fast zwanzig Jahren in Deutschland. Sie hätten ja damals die Möglichkeit gehabt, mit einem Stipendium nach Amerika zu gehen, zum Beispiel an die Juilliard School. Sie haben sich aber für Deutschland entschieden. Aus musikalischen Gründen?

SB: Ja. Ich war verliebt in diesen deutschen Klang, die ganze musikalische Geschichte hier in Deutschland. Deshalb habe ich in Berlin und Frankfurt studiert, bin so lange schon beim Ensemble Modern und auch Teil dieser Kultur und dieses Musiksystems geworden. Mit der Lehrtätigkeit kann ich das fortführen: Dinge weiterentwickeln, mit neuer musikalischer Sprache, neuen Stücken, neuen Menschen.

WS: Erinnern Sie sich noch an das erste Projekt mit dem Ensemble Modern? SB: Als ich hierherkam, im Jahr 2006 zu meiner Probezeit, war mein erstes Projekt eine Tournee mit George Benjamin. Damals wusste ich noch nicht, ob ich hier meinen Platz finden würde. Die Herausforderungen und Schwierigkeiten waren enorm. In einer kleinen Gruppe wie dieser muss alles stimmen. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt in die Gruppe passe. Das war ein großes Fragezeichen für mich.

WS: Als Sie hierherkamen, hatte das Ensemble Modern schon mehr als zwanzig Jahre existiert und war zu einem der wichtigsten Ensembles für zeitgenössische Musik geworden, wobei der Begriff des Zeitgenössischen sehr weit gefasst war. Wie sehen Sie die Entwicklung des Ensembles? Ist es ein Kontinuum, gleichbleibend auf hohem Niveau? Was hat sich verändert?

SB: Das Ensemble hat sich eigentlich immer weiterentwickelt. Es wird immer voller Feuer und mit Begeisterung musiziert. Bemerkenswert ist die Ausdauer der Gruppe, die Offenheit, die Individualität, die Zusammenarbeit unterschiedlicher Generationen. Hier gibt es unglaublich viel Erfahrung, Ideen, Reflexionen, auch bei den Jüngeren, die Frische und neue Kraft einbringen. Was ich großartig finde, ist der Respekt voreinander. Aber das Wichtigste sind die Menschen. Es geht nicht nur darum, dass du gut spielen kannst, technisch etwas machen kannst. Die Gespräche, die Gesellschaftsversammlungen, das macht die Existenz der Gruppe aus. Man ist ja sehr involviert als Mitglied des Ensemble Modern. So war ich zum Beispiel auch vier oder fünf Jahre im Vorstand, der alljährlich neu gewählt wird. Alle, auch unser Künstlerisches Management, das Büro, sind unglaublich wach und füreinander da. Auch das bringt eine Art von Kontinuität und Kraft ins Ensemble. Die Gruppe kann Änderungen vornehmen, jeden Tag, kann eine Entscheidung treffen, kann das Klima, die Gefühle, alles ändern. Man entscheidet immer gemeinsam. Ich finde das faszinierend.

WS: Sie erhielten zu Beginn in Frankfurt zwei Probejahre, und Sie waren sich nicht sicher, ob Sie zum Ensemble passen würden. Ich könnte mir vorstellen, dass man als Novize in einem solchen Ensemble von Individualisten einen Mentor braucht, jemanden, der ein Vorbild ist, sei es menschlich, sei es in seinem Arbeitsstil, sei es musikalisch. Gab es so jemanden für Sie?

SB: Da kann ich die ganze Gruppe als Mentor nennen. Wie gesagt, jeder ist auch sehr anders und sehr individuell mit seinen Gedanken und Gefühlen. Ich habe von jedem etwas gelernt. Das soll aber nicht so klingen, als sei immer alles perfekt gewesen. Es gibt keine Perfektion. Aber auch in guten und schlechten Momenten gibt es hier einen Austausch. Offenheit löst Probleme sehr schnell. Von dieser Art der Zusammenarbeit habe ich nur profitiert.

WS: Es gab in all den Jahren immer wieder neue Projekte mit dem Ensemble Modern. Welche davon waren für Sie von besonderer Bedeutung, haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen?

SB: Es gab sehr viele und auch sehr unterschiedliche, mit kleiner Besetzung oder großem Orchester, Kammermusik und auch Soloprojekte. Ganz allein auf der Bühne zu stehen, mag ich am meisten. Als junger Hornist oder Student hatte ich immer ein wenig Angst davor, ich wusste nicht, ob ich mich auf der Bühne richtig bewegen kann. Heute liebe ich das sehr, auf der Bühne allein zu sein und etwas mitteilen zu können, mit dem Publikum zu kommunizieren.

WS: Man kann sich da als Solist auch nicht hinter dem Klang anderer Musiker verstecken ...

SB: ... genau. Das ist natürlich eine Herausforderung. Und so etwas gibt es für jeden in der Gruppe. Aber Projekte zu erarbeiten, mit Jörg Widmann oder Heinz Holliger, ist etwas Besonderes. Oder die Uraufführung von Yann Robins ›Doppelgänger Concerto No. 2‹ für zwei Hörner und Ensemble kürzlich in der Philharmonie Essen, das war eine der letzten Solotätigkeiten mit dem Ensemble als Mitglied. Ich war so glücklich, fasziniert von diesem neuen Stück, und wieder so stolz, es mit der Gruppe zu spielen. Ein großartiges Stück, sehr virtuos. Es gibt so viele fantastische Projekte, die ich nie vergessen werde: auch mit unserer Blechbläsergruppe, mit Valentín Garvie damals, mit Uwe Dierksen und Sava Stoianov, die Doppel- CD ›Calls, Studies & Games‹. Dann die Radio- oder Videoproduktionen. All diese Projekte habe ich sehr geliebt.

WS: Ich möchte noch kurz auf das Publikum zu sprechen kommen, das sich lange sehr schwergetan hat mit der Neuen Musik. Haben Sie das Gefühl, dass sich in dieser Hinsicht etwas verändert hat, aktuelle Musik mehr akzeptiert wird?

SB: Ich glaube, dass das Publikum offener geworden ist. Wir als Musikerinnen und Musiker bieten dem Publikum auch mehr an ...

WS: ... und sorgen damit auch dafür, dass die Menschen offener für Neue Musik geworden sind?

SB: Ja, das glaube ich wirklich. Wir mit dem Ensemble bieten da enorm viel an und sind sehr vielseitig in unseren Möglichkeiten, mit Film und mit Tanz, mit Improvisation und Jazz, in großer und kleiner Besetzung, mit und ohne Gesang, mit und ohne Stimme, mit Texten und Literatur aus verschiedenen Epochen. Wir berühren damit unterschiedlichste Zielgruppen. Das ist unglaublich wichtig. Aber die Menschen sind selbst offener geworden, wollen mehr. Es gibt viele Orchester auf der ganzen Welt, bei denen Neue Musik selbstverständlich geworden ist. Und mit Musik kann man die Menschen berühren, auch ohne dieselbe Sprache zu sprechen. Ich glaube, das Angebot war noch nie so stark und aktiv wie heute. Und dieses Angebot hat etwas Mitreißendes, wie ein schöner Flow, in den man sich begibt. Da geht es nicht um Neue Musik oder Klassik, sondern um eine Klangreise. Wir schaffen dafür die Möglichkeiten, dass die Menschen wissen, dass das alles existiert und dass das alles für sie da ist. Und jeder kann selbst entscheiden: Mag ich es oder mag ich es nicht.