It will keep metamorphosing

Ein Gespräch mit Jacopo Godani und Jagdish Mistry

It will keep metamorphosing Ein Gespräch mit Jacopo Godani und Jagdish Mistry 2016 arbeitete das Ensemble Modern erstmals mit dem Choreografen und Künstlerischen Direktor der Dresden Frankfurt Dance Company Jacopo Godani zusammen: In ›Metamorphers‹ spielten die Streicher des Ensemble Modern Béla Bartóks Streichquartett Nr. 4. Daran knüpfen Jacopo Godani und das Ensemble Modern nun an und erarbeiten ein abendfüllendes Programm, das in neun Vorstellungen vom 12. bis 22. Dezember 2019 im Bockenheimer Depot in Frankfurt zu erleben ist. Der Tanz- und Theaterwissenschaftler David Rittershaus sprach mit Jacopo Godani und Ensemble Modern-Violinist Jagdish Mistry über die gemeinsame Annäherung an das Projekt, den Reiz der gemeinsamen Arbeit, die Auswahl der Stücke und Ideen für ihre choreografische Umsetzung.

David Rittershaus: Jacopo Godani, wie wählen Sie die Musik aus, die Sie in Ihre Stücke integrieren? Und was verändert sich daran, wenn die Musik live vom Ensemble Modern gespielt wird?

Jacopo Godani: Die Schwierigkeit bei der Arbeit mit vorkomponierter Musik besteht darin, dass man etwas finden muss, das zur Atmosphäre, zur rhythmischen Struktur des Werkes und zu der Vorstellung im eigenen Kopf passen muss. Ich finde die Art Beziehung, die wir mit dem Ensemble Modern haben, sehr kollaborativ. Für uns ist es eine wunderbare Erfahrung, die Musikerinnen und Musiker im Studio zu haben und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Diese Synergie bringt eine ganz andere Verbindung zwischen den Tänzern, den Musikern und mir hervor.

Jagdish Mistry: Da kann ich nur sagen: »Ja, ja, ja!« Für uns als Musiker gibt der Tanz der Musik einen Körper, eine Erdung. Wir haben einen ganz anderen Blick auf die Musik, einen anderen Sinn für das Timing, den Rhythmus, für Schwere und Leichtigkeit, wenn wir unsere Interpretation anpassen müssen, um dem tanzenden Körper Rechnung zu tragen. Die Musik erhält dadurch eine ekstatische Ebene, weil sie nicht mehr nur im Klang und nicht mehr nur im Körper existiert, sondern im Aufeinandertreffen der beiden.

DR: Gibt es also einen großen Unterschied zwischen der konzertanten Aufführung von Musikstücken und der Aufführung mit einer Tanzkompanie?

JM: Ja. Wir hatten Béla Bartóks Streichquartett Nr. 4 oft ohne Tanz gespielt, bevor wir es 2016 mit der Dresden Frankfurt Dance Company bei ›Metamorphers‹ aufführten. Der Unterschied liegt in einem gewissen Sinn für Dramaturgie und Interpretation. Meist beschränkt sich unser Gefühl auf die körperliche Wahrnehmung unseres Instrumentalspiels. Wenn man ein Stück aber zusammen mit einem Körper spielt, der dazu tanzen und sich bewegen muss, muss man die Wahrnehmung über die eigenen Bewegungen hinaus erweitern, und dadurch geraten die eigenen Körperspannungen in eine andere Art Fluss; und das wiederum bringt uns neue Einblicke in den Rhythmus des Werks.

DR: Die Musiker des Ensemble Modern kommen zu den gemeinsamen Proben mit der Erfahrung, das Stück bereits interpretiert zu haben, und Sie, Jacopo Godani, haben sicher auch Ihre eigenen Vorstellungen. Wie bringen Sie diese Elemente zum Ausgleich?

JG: Tatsächlich passen wir uns einander an. Es wäre unfair, das als Kompromiss zu bezeichnen, denn es ist mehr als das. Es ist nicht so, als würde eine Seite etwas opfern. Eigentlich kommen wir zu einem unterschiedlichen Zweck zusammen und bewegen uns auf ein unterschiedliches Ziel zu. Philosophisch und gesellschaftlich gesprochen dient es eher dem Gemeinwohl, zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, ohne sich zu sehr auf sich selbst zu konzentrieren und zu nur im Körper existiert, sondern im Aufeinandertreffen der beiden. sehr an das zu glauben, was im eigenen Kopf passiert – sondern stattdessen zu verstehen, dass das Wichtigste ist, dass zwei Gruppen zusammenkommen und auf ein anderes Ziel hinarbeiten, mit anderen Perspektiven.

DR: Es geht also auch darum, einen Schritt zurückzutreten und der Sache ihren Lauf zu lassen?

JG: Absolut. Ja.

JM: Ja, ich bin ebenfalls ganz dieser Meinung.

DR: Wie verlief rückblickend die erste Zusammenarbeit, bei der das Ensemble Modern Bartóks Streichquartett live zur Choreografie ›Metamorphers‹ aufführte?

JM: Zunächst einmal war das Stück Jacopos Wahl. Wir nahmen es auf und schickten ihm die Aufnahme. Er organisierte dann daraufhin die Choreografie und setzte die Tempi, die wir damals spielten, voraus. Als wir uns endlich trafen, fingen wir an, es auf eine andere Art zu proben, mit anderen Tempi. Und Jacopo sagte, »Moment, das ist aber nicht wie die Aufnahme«, und wir dachten: »Klar, genau, das ist nicht wie die Aufnahme. Wir haben weitere Aspekte hinzugefügt.« Das war der Augenblick, in dem Jacopos Input Teil unserer Interpretation wurde und wir begriffen, dass wir es nicht einfach so spielen konnten wie vorher. Man muss im Augenblick leben.

JG: Manchmal geht es nur um den körperlichen Aspekt. Ich mag es schnell, aber manchmal braucht der Körper eine gewisse Zeit, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen, auch wenn man versucht, das sehr schnell zu machen. Daher gibt es ein paar Dinge, die der Körper nicht erreichen kann, indem er der Musik folgt. Es ist wie eine echte Unterhaltung. Man muss sich wirklich zuhören.

JM: Ich würde noch weiter gehen. Für mich war diese Zusammenarbeit eine Lektion. Glenn Gould hat früher gesagt: »Wenn man ein Stück nicht dirigieren kann, dann funktioniert es organisch nicht.« Und genau darum ging es für mich bei dieser Zusammenarbeit. Wenn man sich zur Musik nicht wirklich bewegen kann, wenn nicht die richtige Menge Bewegungsaktivität hineinfließt, wenn man sie nicht illustrieren kann, dann funktioniert die Interpretation auch nicht. Und da dachte ich mir: »Aha, das sagt mir etwas über Bartóks Stück selbst.«

DR: Wie gehen Sie in dieser Beziehung mit dem hohen Energieniveau um, das Ihre Choreografien auszeichnet?

JG: Der Bartók ist ein super-energiegeladenes Stück. Das ist einer der Gründe, warum ich es ausgesucht habe. Im Universum der Streichquartette ist es für mich eines mit dem höchsten »Sex-Appeal«, weil es klassische moderne Musik ist, aber andererseits über die Komposition hinausgeht, die Melodie ist wirklich spannend, es ist eine Herausforderung, komplex und raffiniert. Die Struktur der Musik ist unglaublich. Aber wenn man Musik für ein Stück aussucht, muss sie nicht nur eine gute musikalische Struktur haben, damit man sie choreografieren kann, sie muss auch eine Atmosphäre kreieren. Wenn die Atmosphäre zu nett oder niedlich ist, kann man sich dazu nur ein bisschen Romeo und Julia vorstellen. Bei Bartók ist das anders; bei Bartók ist es wirklich, als sei es das Ganze ...

JM: Die ganze Welt steckt da drin.

JG: Genau. Und ich möchte eine neue Inszenierung machen, weil die Choreografie und die Musik da sind, aber wir müssen so etwas wie ein Upgrade für beide finden.

DR: Wird ›Metamorphers‹ für die bevorstehende neue Zusammenarbeit zwischen Ihnen in diesem Winter revidiert?

JG: Ja, ja, absolut.

JM: ›Metamorphers‹ durchläuft eine weitere Metamorphose.

JG: Es wird immer weitere Metamorphosen durchlaufen.

DR: Ein weiteres Werk Ihrer neuen Zusammenarbeit trägt auch eine Morphose im Namen. Welche musikalischen Transformationen finden in Johannes Schöllhorns ›Anamorphoses‹ statt?

JM: ›Anamorphoses‹ basiert auf neun Sätzen aus Bachs ›Kunst der Fuge‹, das man als »asexuelles« Werk bezeichnen könnte, da es nicht für eine bestimme Instrumentierung gedacht ist. Daher gibt es davon sehr viele Versionen. Johannes Schöllhorn baut sein Werk direkt auf Bachs Musik auf. Er streicht nichts, er ändert keine Note, sondern er koloriert sie sozusagen. Er betont Linien im Sinne von Verdopplungen, verändert die Oktaven, in denen bestimmte Melodien auftauchen, verkürzt Akkorde, die zuvor lang waren. Er verändert das Profil, behält aber die Vorlage bei.

DR: Ist diese kompositorische Vorgehensweise, eine Phrase als Grundlage zu nehmen und ihr verschiedene Farben zu geben, auch eine Art, in der Sie choreografieren?

JG: Gelegentlich, ja. Ich beginne damit, an einer grundlegenden Phrase zu arbeiten, schon um eine gemeinsame Sprache zu haben. Es ist einfacher, wenn die Leute schon Zugang zu einer »Datenbank« von Arbeiten und Materialien haben. Wenn man dann anfängt, an einer Phrase zu arbeiten, kennt jeder bereits das Vokabular, und man kann sofort anfangen, im Kompositionsprozess damit zu spielen. Das Beste ist, wenn man mit den Tänzern eine Kommunikationsebene erreicht, auf der sie alles sehr schnell aufnehmen, egal, was man ihnen vorgibt. Der Prozess ist dann auch spontaner.

DR: Spielt das Konzept des Kontrapunkts bei der Komposition Ihrer Choreografien eine Rolle?

JG: Ich möchte mich beim Komponieren keinesfalls auf eine winzige Anzahl von Regeln festlegen. Ich bin auf der Suche nach einer Freiheit des Ausdrucks. Mich inspirieren solche vorhandenen und vorgefertigten Arten des Komponierens nicht. Ich versuche, mich von all diesen Begrenzungen zu befreien.

DR: Wir sprachen davon, der Musik einen Körper zu geben. Welche körperlichen Vorzüge sehen Sie in dem Stück?

JM: Generell kenne ich kein Werk von Bach, das nicht tanzen würde. Sogar die langsamen Stücke entstehen alle aus dem Tanz, sogar diejenigen, die keinen Tanz als Vorlage haben oder nicht darauf basieren. Diese Art Musik kommt aus der Erde; sie kommt aus dem Körper.

DR: Werden die Musiker des Ensemble Modern auf der Bühne eingebunden?

JG: Ja, das ist der ganze Zweck der Livemusik. Auf der Bühne müssen wir schauen, wie weit sie voneinander entfernt sein können, um sich noch zu hören, welche Aufstellung sie realisieren können und ob wir die Positionen wechseln können. Diese und ähnliche Fragen sind zu klären.

DR: Die Musikstücke sind sehr unterschiedlich instrumentiert, manche benötigen vier, manche eher zwanzig Musiker.

JG: Ja, daher haben sie auch ganz unterschiedliche Farben.

JM: Genau. Wir haben hier drei ganz unterschiedliche Klangfarben, und daher wird sich auch die Wahrnehmung der Musik ändern. Ich glaube, dass sich die Musik vollkommen für die Zuschauerinnen und Zuschauer verändert, weil sie sie leben sehen. Wenn man sie live nur von Musikern gespielt sieht, ist man natürlich von den Bewegungen der Musiker vereinnahmt, von der Art, wie sie den Klang erzeugen. Aber wenn man das Ganze als Tanz sieht, kann man sich weniger in sich selbst zurückziehen. Es ist dann eher ein Prozess des Inetwas- Hineinwachsens, etwas, was sich gerade jenseits der eigenen Vorstellungskraft befindet – und das definitiv die eigene Vorstellungskraft bereichert.

DR: Haben Sie schon choreografische Ideen, oder ist es dafür noch zu früh?

JG: Bisher noch nicht. Nein, denn ich versuche ja auch, mich zu einer anderen Sprache hinzubewegen. Und dafür muss ich tief in die Atmosphäre der Musik eintauchen, bevor ich darüber nachdenken kann. Momentan arbeite ich eher an Vorstellungen zur Bühne, denn diese brauchen wirklich sehr lang, bis sie umgesetzt werden können.

DR: Bei der Musikauswahl suchen Sie Herausforderungen, aber setzen Sie sich auch im Hinblick auf die Bildsprache oder Bewegungseigenschaften neue Ziele?

JG: Absolut. Ich kann mir zwar noch nicht vorstellen, an einem ganz anderen Ort anzukommen, was Anmutung und Atmosphäre angeht, aber ich weiß es auch noch nicht. Ich denke darüber nach, aber ich will mich nicht absichtlich verlieren. Andererseits möchte ich so anders wie möglich sein. Mal sehen, was passiert, wenn ich mir selbst die Herausforderung stelle.

JM: Was er gerade gesagt hat, geht noch bis zum Tag der Aufführung – und danach – weiter. Ich habe mit ihm schon Tourneen unternommen, und oft hatten wir am Konzerttag einen Soundcheck, und dann fing er wieder an zu proben, versuchte, die Tänzer noch besser zusammenzubekommen und generell alle losen Fäden miteinander zu verbinden. Ihm fällt zum Beispiel auf, dass sich bei den letzten drei Vorstellungen die Dinge verändert haben. Dann muss er alles wieder zusammenfügen und neu nachdenken. Das ist eine wahre Lektion für uns Musiker: mit der eigenen Interpretation nicht zufrieden zu sein und immer zu fragen: »Was kommt als Nächstes?«

DR: Sie fordern einander heraus, und das ist es, was Ihnen gefällt?

JM: Na klar. Irgendjemand hat einmal gesagt: Wenn man sich nicht vorwärts bewegt, ist das ein Rückschritt.

DR: Ihnen beiden vielen Dank.