Patronatsgesellschaft für das Ensemble Modern

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christina Weiss

Auf Anregung der ehemaligen Kulturstaatsministerin Prof. Dr. Christina Weiss, des Hirnforschers Prof. Dr. Wolf Singer und des Lyrikers, Übersetzers und Joyce-Experten Prof. Dr. Klaus Reichert wurde am 2. Oktober 2015 die Ensemble Modern Patronatsgesellschaft e.V. – Ensemble Modern Board of Patrons gegründet. Damit erhält das Ensemble Modern neben dem Verein der Freunde des Ensemble Modern e.V. eine weitere ideelle und finanzielle Unterstützung. Dietmar Wiesner (DW) vom Ensemble Modern sprach mit Prof. Dr. Christina Weiss (CW) über die Idee zur Gründung sowie Hoffnungen und Visionen der Patronatsgesellschaft.

DW: Wie entstand die Idee zur Gründung einer Patronatsgesellschaft?

CW: Die Idee zur Gründung einer Patronatsgesellschaft, die in der Lage ist, die Arbeit des Ensemble Modern ideell und finanziell zu fördern, kam mir, als ich als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Ensemble Akademie e.V. merkte, wie eng die finanzielle Situation für das Ensemble Modern ist. Der Staat finanziert relativ gering und seit Jahren gleichbleibend; viele Stiftungen kürzen ihre Zuwendungen oder ziehen sich ganz zurück. Dadurch ist eine neue Situation für das Ensemble Modern entstanden, die Hilfe erfordert. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, wie man durch eine private Initiative helfen könnte. Finanzielle Hilfe auf der einen Seite, meine Idee war aber auch, die Menschen zusammenzubringen, die bereit sind, sich für Neue Musik und zeitgenössische Künste zu engagieren: einen Club von Menschen zu gründen, die neugierig sind auf neue Erfahrungen und die wissen, dass ihnen die zeitgenössische Musik und Kunst genau das bietet; einen Club von Menschen, die von der Kulturpolitik fordern, dass die Spielräume für zeitgenössische Künste hochgeachtet werden und nicht zugunsten von leicht kommunizierbaren Kulturereignissen zurückstehen bzw., dass die Politik sich nicht zu sehr darauf verlassen darf, dass Kunst und gerade Musik nur schmückendes Beiwerk für das Leben sind. Kunst ist dadurch definiert, dass sie uns auch herausfordert.

DW: Zumal die zeitgenössische Musik gegenüber der zeitgenössischen Kunst Aufholbedarf hat, was die öffentliche Wahrnehmung angeht.

CW: Die zeitgenössische Musik hat es in der Tat am schwersten, weil im Bereich der Musik unsere Hörgewohnheiten noch 100 Jahre zurückliegen. Die meisten Konzertbesucher empfinden ja heute sogar noch Schönberg als extrem neu und schwierig und haben Angst vor vermeintlichen Dissonanzen.

DW: Bei Musik scheinen die Menschen einen starken Wunsch nach Wiedererkennung zu haben, was natürlich nur durch ständige Wiederholung erreicht wird. Das steht der Idee, neue Dinge auszuprobieren, im Weg.

CW: Die ständige Wiederholung macht natürlich gerade die Klassische oder Alte Musik konsumierbar. Man weiß, was man erwartet, man hat alles schon mehrfach gehört. Man möchte in dem Konsumgenuss nicht durch neue Klänge und »Noch-nie-Gehörtes« gestört werden. Allerdings muss ich sagen, dass Menschen, die nicht neugierig auf Neues sind, unendlich viel verpassen: Die Bereicherung, die Kraft, die Energie, die in einem neuen Werk liegen, kommen nicht zur Entfaltung, wenn man sich zurücklehnt und genießen möchte. Wie wunderbar aber diese Aktivität des neuen Hörens sein kann, muss man selbst erfahren haben und auch für das eigene Leben einüben. Erst dann weiß man, wie sie einen bereichert. Sie ist auch die Grundlage, subjektiv zu denken und mutig zu sein, eine eigene Stellungnahme zu finden. Das eigene Denken, einmal herausgefordert, macht unabhängig und mutig.

DW: Auch als Interpret braucht man immer wieder diese aktive Auseinandersetzung!

CW: Das ist natürlich auch das Erlebnis beim Zuhören in zeitgenössischen Konzerten, z.B. mit dem Ensemble Modern. Die Leistung und Neugier der Musiker überträgt sich in dem Live-Prozess ganz stark auf die Zuhörer.

DW: Sie haben es geschafft, zur Gründung der Patronatsgesellschaft großartige Persönlichkeiten aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum zu versammeln. Für den Vorstand konnten Sie Herrn Prof. Dr. Wolf Singer und Prof. Dr. Klaus Reichert gewinnen. Hans und Gertrud Zender sind mit ihrer Stiftung in großem Maße beteiligt.

CW: Es war für mich tatsächlich ein großes Glück, ein Echo zu finden, wie ich es selbst gar nicht erwartet hatte. Es ist natürlich auch die große Bewunderung für die Arbeit des Ensemble Modern, das seit über 30 Jahren in einer wunderbaren Konsequenz immer wieder Neues für sich entdeckt, aber damit auch den Zuhörern immer wieder neue Erfahrungen ermöglicht, keine Stagnation. Das findet selbstverständlich Zuspruch von vielen.

DW: Welche Hoffnungen und Visionen haben Sie für den Patronatsverein?

CW: Was kann so eine Patronatsgesellschaft als gemeinnütziger Verein eigentlich bewirken? Als Mitglied zahlt man mindestens 1.000 Euro im Jahr – voll und ganz zur Unterstützung der künstlerischen Arbeit des Ensemble Modern. Es ist natürlich ein langer Weg, zu einer Summe zu gelangen, die wirken kann. Das ist der finanzielle Aspekt. Die andere Seite ist, die Stimme zu erheben. Bei vielen Gesellschaftsvereinen geht es den Mitgliedern insbesondere um die gesellschaftlichen Ereignisse, die sie geboten bekommen. Hier aber versuche ich, Menschen zusammenzubringen, denen es um die Inhalte und das Prinzip des Wachbleibens, des »Nicht-Stehen-Bleibens«, des »Neu-Entdeckens« geht. Menschen, die bereit sind, mit ihrer Stimme zu fordern, dass die Politik auch eine Kulturpolitik macht, die sich dem Neuen öffnet. Wenn die Künstlerinnen und Künstler mit ihrem Appell an Fantasie und mit ihren Visionen die Gesellschaft nicht zukunftsfähig machen, bleibt die Gesellschaft stehen.

DW: Können Sie kurz beschreiben, welche Angebote es für die Patrone gibt?

CW: Was können die Mitglieder des Ensemble Modern uns außer ihren wunderbaren Konzerten zurückgeben? Wir wollen kein Gesellschaftsverein mit regelmäßigen Veranstaltungen sein, aber wir wollen in jedem Fall einmal im Jahr ein Konzert mit anschließendem Gespräch mit den Musikern anbieten. Ein wunderbares Angebot ist auch, dass es für die Mitglieder einmal im Jahr eine exklusive CD geben kann, auf der sich etwas befindet, das es nicht zu kaufen gibt: eine Uraufführung oder die Präsentation eines Stückes mit Kommentar. Das bleibt den Musikern überlassen. Ich finde auch die Möglichkeit hinreißend, die Musiker des Ensemble Modern zu Konzerten in die Firma oder zu sich nach Hause einzuladen – selbstverständlich gegen Honorarzahlung. Natürlich erscheinen die Namen der Patrone auch in ausgewählten Publikationen oder Programmheften.

DW: Wir sind Ihnen sehr dankbar für die wunderbare Zusammenarbeit und Unterstützung, die Sie dem Ensemble in all den Jahren haben angedeihen lassen, und wir freuen uns, dass diese jetzt in den Patronatsverein eingemündet ist.

CW: Ich freue mich auch darüber! Mein Interesse an Neuer Musik wurde ja geweckt, als ich mit 17 Jahren György Ligetis ›Atmosphères‹ hörte. Es war wie eine Weltoffenbarung. Das war meine Musik! Ich habe 10 Jahre lang danach in Konzerten nur noch Musik des 20. Jahrhunderts gehört. Und ich war begeistert davon, mein Hören mit den zeitgenössischen Kompositionen gelenkig zu trainieren. Danach konnte ich auch die Klassische Musik wieder ganz anders wahrnehmen und begreifen.

DW: Wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch und freuen uns auf den Austausch mit Ihnen und den zukünftigen Mitgliedern der Patronatsgesellschaft!