Am Limit

Posaunist im Ensemble Modern

sonic: Mehrere Musiker des EM haben jetzt ein Porträt-Album veröffentlicht. Starten Sie eine zweite Karriere?


Uwe Dierksen: Nein, das ist ein Projekt im Zusammenhang mit dem 30-jährigen EM-Jubiläum, um sich individuell vorzustellen. Das Konzept ist jedem einzeln überlassen. Als Solist war ich schon früher, auch unabhängig vom EM, aktiv.

sonic: Ist die Doppel-CD eine Quintessenz Ihrer Zusammenarbeit mit dem EM?

Uwe Dierksen: Ich bin ja schon 28 Jahre im EM und da häufen sich eine ganze Menge Erfahrungen an, die auf dem Album in einem Solo-Recital mit mir gewidmeten Kompositionen reflektiert sind. Dabei nutze ich Elektronik und improvisiere, um einem Abend eine bestimmte Dramaturgie zu geben, die sich von einer simplen Reihung von Werken unterscheidet. Die Posaune soll dabei als veritables Soloinstrument erscheinen. Die zweite CD ist eine Auswahl von Werken, die mich in den letzten Jahren besonders geprägt haben. Hinzu genommen habe ich die Musik meiner Band Mavis, die aus meinem Interesse für eigene Pop-Rock Songs kommt. So habe ich mein Porträt-Programm strukturiert.

sonic: Die einzelnen Werke, die sie aufgenommen haben, deuten auf ein Konzept von Extended Trombone (erweiterter Posaune).
Uwe Dierksen: Ja, das könnte man so sagen. Posaune als kompetentes Instrument ist erst in der Neuen Musik wieder entdeckt worden, und sie wird nun ganz anders genutzt als vor 100 Jahren. Da ist sehr viel passiert, weil sowohl Komponisten als auch Posaunisten kooperativ das Klangspektrum für Posaune ausgeweitet haben. Wobei avancierte Spieltechniken und Formen integriert werden. In den letzten Jahrzehnten hat da eine große Entwicklung stattgefunden, die man als Extended-Trombone-Techniken bezeichnen könnte, worüber nicht allzu viele Menschen etwas wissen. Insofern dokumentiert meine CD auch Aspekte des aktuellen Status der musikalischen Möglichkeiten auf der Posaune.

sonic: Sie verwenden ja eine spezielle Apparatur. Woher haben Sie die Anregungen bekommen, Elektronik zu verwenden?


Uwe Dierksen: Diese Konfiguration habe ich mir aus verschiedenen Gründen ausgedacht. So hatte ich überlegt, dass man in einem 45 Minuten Recital nach einem extrem anstrengenden Solo wie "ROOR" von Arnulf Hermann eine kleine Erholung braucht. Dazu fiel mir ein, dass ich, wie ich es früher oft gemacht habe, improvisieren könnte. Diese freie Kommunikation macht mir Spass und dazu gesellt sich auch die Elektronik, sodass ich einen Klang wirken lassen kann. Dafür verwende ich Drumpads mit festgelegten Klängen, die ich mir in anderem Zusammenhang mal zugelegt hatte. So ergeben sich auch szenische Elemente, wenn ich die Pads mit dem Zug bediene und das Publikum sehen kann, wie ich mit der Elektronik improvisiere und auch Klänge ineinander verschmelzen lasse. Den Verlauf solcher Strukturen habe ich natürlich bewusst ins Programm eingeplant. Improvisation als eigenständige Methode finde ich sehr geeignet, über ein gespieltes Stück im Nachhinein zu reflektieren, was gerade live sehr interessant ist. Denn ich teile in Echtzeit dem Publikum mit, was ein Werk von einem anderen Komponisten gerade mit mir gemacht hat oder was ich persönlich darüber denke, durch einen persönlichen Kommentar als Improvisation. Das gefällt mir sehr gut, denn ich kann diese Improvisationen auch als Überleitung zum nächsten Stück nutzen, indem ich ganz explizit Bezug zum Woher nehme, damit ich das Wohin anpeilen kann. Deshalb habe ich als Intro extra "Halal" komponiert, weil ich unbedingt einen Übergang zu "Rockaby" von Héctor Moro haben wollte. Das hat eine ganz andere Dramaturgie ohne eigentlichen Aufbau, ist sofort präsent und braucht sozusagen einen Transfer. Das ist die innere Struktur dieses Recitals.

sonic: Was verstehen Sie unter der Kunst des Übergangs?


Uwe Dierksen: Die Kunst des Übergangs entsteht aus Überlegungen, was kommt in welcher Reihenfolge und wie passt was zueinander. Solche Entscheidungen können daraus resultieren, dass Werke ähnlich oder ganz verschieden sind. Das sind die äußeren Extreme von Verbindungen. Und wenn man beides nicht hat, dann baut man sich etwas Drittes, um Übergangsebenen in das Recital einzubeziehen. Mir war sehr wichtig, dass man versucht, Stilmittel zu erfinden, die notierte Kompsitionen sozusagen vorbereiten, um auch die Aufmerksamkeit zu forcieren. Die Kunst des Übergangs ist also meine dramaturgische Formgebung für 45 Minuten Programm, um einzelnen fremdkomponierten Werken besonderen Respekt und bestimmte Lichtfarben zuzuordnen.

sonic: Sie haben in Ihrem Begleittext sehr viel über technische Details und auch die singulären Klangeigenschaften der Posaune geschrieben. Hat darüber hinaus die Posaune für Sie eine physische Präsenz?


Uwe Dierksen: Unbedingt. Da überträgt sich in Konzerten die Wahrnehmung etwa der Atemfrequenz, die Pulsation des eigenen Körpers. Gerade bei der Posaune ist die körperliche Akitvität in der Bedienung des Zuges unmittelbar zu sehen. Die Posaune ist deshalb für mich ein physisch sehr präsentes Instrument, sogar untrennbar vom eigenen Lebensstil und eigener Lebensenergie.

sonic: Sie haben das Arrangement der "Revised Music" von Frank Zappa auf der CD und sogar längere Zeit bei ihm gewohnt. Können Sie darüber etwas erzählen?


Uwe Dierksen: Das EM war ja zweimal in Los Angeles. Und dann bin ich noch einmal rübergefahren und wollte Kontakte fürs EM in den Warner Brother Studios wegen der Varèse-Aufnahmen organisieren. In dieser Zeit, als Frank Zappa an Kompilationen alter Aufnahmen arbeitete, war ich öfter bei ihm zu Besuch und hatte Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Das sind im Nachhinein natürlich große Geschenke menschlicher Begegnung.

sonic: Hat Frank Zappa sie musikalisch beeinflusst, insbesondere bei den Kompositionen für Ihre Band Mavis?


Uwe Dierksen: Ja, das sagen viele. Allerdings nicht so, dass ich ihn imitieren wollte. Aber bestimmte Attitüden haben mir bei ihm gut gefallen, wie die Methode, komplexe und einfache Strukturen zu konfrontieren. Das hat mich fasziniert. Aber Rock und Jazz sind nicht unbedingt Sphären, mit denen ich mich identifiziere. Während meiner Zeit im EM habe ich so viele einzigartige Komponisten und Stile kennen gelernt, un mich haben so viele Werke beeinflusst, dass ich diesen Aspekt meiner Tätigkeit nicht auf eine Person fixieren kann und möchte.

sonic: Aber Ihre Band Mavis agiert schon im Jazz-Rock-Bereich?


Uwe Dierksen: Das stimmt. Wir haben auch serh gute Resonanzen, aber ich habe nicht die Zeit, um Mavis nach vorne zu treiben. Das ist schade.

sonic: Wie oft üben Sie eigentlich, um auch schwierigste Passagen zu meistern?


Uwe Dierksen: Ich übe immer regelmäßig und relativ viel. Auch im Urlaub, das ist wichtig für mich, weil man bei einem Blechblasinstrument schnell neurosensorische Störungen bekommen kann, also Versagen der Lippenspannung oder Ausdauer. Und gerade bei Repertoire mit solch extremen Anforderungen der Spieltechnik, wie es Alltag beim EM ist, muss man die Muskeln topfit halten. Deshalb kann ich sogar sehr virtuose Passagen problemlos abrufen.

sonic: Haben Sie während Ihrer Übungsprogramme neue Techniken entwickelt?


Uwe Dierksen: Ja, das gehört dazu. Das Wichtigste war wohl, einen möglichst großen Tonumfang zu entwickeln, da Komponisten für die Ensemble-Literatur nicht wirklich zwischen Parts für Bass- und Tenorposaunen unterscheiden. Es gibt ein paar extrem hohe Passagen, die in den letzten 10 Jahren zu unserem Repertoire dazugekommen sind. Da ist es dann schon manchmal interessant rauszukriegen, wie viel Kraft man nahc den meist langen Generalproben noch für das Konzert übrig hat. Aber das macht ja auch Spass, sich mit neuen Anforderungen intensiv auseinanderzusetzen, physisch wie psychisch. Man lernt eben nicht nur hohe Töne, sondern viel mehr. Am Ende gewinnt man immer dazu. Außerdem taugen solche Techniken wie einatmend spielen oder spielen und singen sehr gut zur Entspannung. Es ist doch ein Privileg, sich jeden Tag aufs Neue mit seinem Instrument auseinandersetzen zu können oder auch zu müssen.

sonic: Vielen Dank für das Gespräch.