Kunst ist unbezahlbar!

Interview mit Markus Hechtle

2000 erhielten 10 junge Komponisten Aufträge von der Stadt Frankfurt am Main, im Rahmen des Millenniumprogramms »Frankfurt 2000« Werke für das Ensemble Modern zu schreiben. Darunter Markus Hechtle, Enno Poppe und Johannes Maria Staud, die inzwischen alle mit dem Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet wurden. Von ihnen wird das EM auch in diesem Jahr wieder Werke zur Aufführung bringen: neue Auftragskompositionen von Markus Hechtle und Johannes Maria Staud sowie u.a. ein Orchesterwerk von Enno Poppe mit dem Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von Pierre Boulez. Dies nahm das EM zum Anlass, mit den Dreien einmal über die Umstände der Entstehung ihrer Musik zu sprechen, Herausforderungen, Chancen und Schwierigkeiten des Komponistenalltags. Ein heikles Thema, das Mut zur Offenheit verlangt - wir haben es trotzdem versucht. Die Fragen stellte Susanne Laurentius.

Ensemble Modern: Es geht in diesem Gespräch nicht um Kunst, sondern darum, unter welchen Umständen Kunst entsteht, nämlich um Auftragskompositionen. Anlass für das Gespräch mit Euch ist, dass es vor sieben Jahren in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt die 10 Millenniumsaufträge an junge Komponisten gab, zu denen auch Ihr gehörtet und das EM nun 2007 wieder Werke von Euch (ur-)aufführen wird. Das Ensemble Modern hatte noch bis vor relativ kurzer Zeit wenig finanzielle Mittel, um Aufträge zu vergeben und damit zu bezahlen, was sich inzwischen erfreulicherweise verändert hat.

Markus Hechtle: Wodurch?

Dazu tragen mehrere Faktoren bei: Es gibt jetzt ganz aktuell eine Fehlbedarfsfinanzierung durch das Land Hessen, mit der wir auch "Vertigo - vor dem Fall" unterstützt haben. Dann natürlich durch die Freunde des Ensemble Modern e.V., die sich 2000 gegründet und seitdem verschiedene Kompositionen unterstützt haben. Und dann entstehen in der Internationalen Ensemble Modern Akademie viele neue Werke, die vielleicht nicht im engeren Sinn Auftragskompositionen sind, aber durch das EM oder Studierende des Masterstudiengangs uraufgeführt werden.
Was hat sich für Euch mit dem Auftrag durch das EM im Jahr 2000 verändert?

Sehr viel! Man muss wissen, dass das EM für junge Komponisten etwas Ähnliches darstellt, wie der FC Bayern München oder Real Madrid für fußballbegeisterte Jungs. Diese erste Zusammenarbeit war für mich eine Schlüsselerfahrung, weil man unglaublich viel in der praktischen Arbeit lernt und man darüber hinaus im Umgang mit Musikern und dem, was man in der eigenen Arbeit sucht, reifer wird.

Haben sich aus dieser Zusammenarbeit neue Möglichkeiten ergeben?

Das kann ich nicht genau sagen. Aber wenn du mit dem EM zusammengearbeitet hast und vor allem ein gutes Ergebnis vorweist, dann ist das unbezahlbar.

Du hast auf jeden Fall schon 2000 gesagt, dass Du nicht jeden Auftrag annehmen würdest und ich weiß, dass Du auch schon Aufträge abgelehnt hast. Inwieweit spielen bei so einer Entscheidung die Vorgaben mit hinein?

Das Wichtigste für mich ist, dass es keine Vorgaben gibt, außer natürlich ganz pragmatisch die Besetzung. Und natürlich kann ich für das EM kein Orchester- oder Solowerk oder für ein Konzert, für das mehrere Werke angedacht sind, kein abendfüllendes Stück schreiben. Diese beiden Aspekte, Länge und ungefähre Besetzungsgröße, sind aber ehrlich gesagt die einzigen Vorgaben, die ich akzeptiere.

Das EM hat letztes Jahr Aufträge zum Mozartjahr vergeben, hättest Du das abgelehnt?

Ja, das hätte ich vermutlich abgelehnt. Ich muss Vorgaben in meine Arbeit integrieren können oder mich durch sie angeregt fühlen, wie z.B. bei dem ursprünglichen Kontext, in dem "Vertigo - vor dem Fall" uraufgeführt werden sollte. Das war das TEMPO-Projekt mit der ungefähren Vorgabe, dass es um Geschwindigkeit geht. Das hat zu dem gepasst, was ich ohnehin machen wollte. Gleichzeitig hatte mich Harry Vogt aber gefragt, ob ich zusätzlich nicht eine irgendwie geartete Bearbeitung eines Nancarrow-Stücks für das Arditti-Quartett machen wolle. Da habe ich zunächst auch zugesagt, nach der Beschäftigung mit Nancarrow aber dann doch absagen müssen.

Daran hatte ich vorhin gedacht.

Ich bin während der Auseinandersetzung dermaßen wütend geworden, ich hätte nur noch eine emotionale Reaktion auf Nancarrow verfassen können, aber das wollte ich damals nicht.

Das EM hat letztes Jahr mit chinesischen Komponisten zusammengearbeitet und dabei auch zwei Aufträge vergeben. Die Komponistin Zhang Lida hat in der Einführung in Frankfurt zu ihrem Auftrag gesagt, dass sie zum ersten Mal keine Vorgaben hatte und nicht wusste, wie sie mit dieser Freiheit umgehen sollte. Und da habe ich mich gefragt, wie frei ein mitteleuropäischer Komponist denn eigentlich wirklich ist.

Das ist eine entwaffnende Offenheit. Ja, manchmal ist es schwer, Freiheit auszuhalten. Also zunächst habe ich nicht im Hinterkopf wo und von wem ein Stück aufgeführt wird, sondern jedes ist erst einmal gleich wichtig. Nur: Es wäre ja naiv zu behaupten, dass es das Gleiche sei, egal für wen ich komponiere. Das ist nicht der Fall, wie ich jetzt auch wieder bei Vertigo bemerkt habe. Diese Musik ist für den Klang, die Aura, die Haptik des EM geschrieben. Also würde ich schon sagen, dass es unbewusst verarbeitete Einflüsse gibt. Gerade wenn man mit Musikern schon mal zusammengearbeitet hat, weiß man um deren Stärken und das spielt ganz klar eine Rolle.

Was mich in dem Zusammenhang eigentlich am meisten interessiert ist, welche Form der Auseinandersetzung es mit den Auftraggebern nach der Uraufführung eines Stückes gibt.

Das ist eine sehr gute Frage! Und etwas, was äußerst unterschiedlich ist. Es gibt im Betrieb, soweit ich ihn kenne, leider nur sehr wenige Personen, die einen inhaltlichen Dialog führen. Umso mehr weiß ich diese zu schätzen. Ich bin manchmal doch erschrocken über die inhaltliche Teilnahmslosigkeit, die vorherrscht. Glücklicherweise gibt es aber Leute, mit denen man diesen Dialog führen kann und die der Sache auch ein echtes Interesse entgegen bringen. Es geht ja nicht darum, dass man nur gebauchpinselt werden will, sondern um eine wirkliche Auseinandersetzung. Ich habe da aber auch selbst schon oft versagt - das muss ich ehrlicherweise zugeben. Es ist eine Begabung, etwas zu sagen, was nicht nur höflich ist, sondern auch kritisch, ohne den Anderen zu verletzen. Gerade gegenüber jungen Komponisten ist das noch wichtiger, denn die will ja keiner in die Pfanne hauen. Und wenn man jemanden persönlich mag, kann es noch schwerer sein.

Und erfolgt die Auseinandersetzung eher mit Musikern als mit Veranstaltern?

Das ist ganz unterschiedlich. Mit Musikern erfolgt die Auseinandersetzung eher auf einer instinktiveren Ebene, was ich sehr schätze. Es findet aber meist keine intellektuelle Auseinandersetzung statt, die vielleicht der eine oder andere Redakteur leistet, was aber überhaupt nicht minder zu bewerten ist, sondern im Gegenteil. Für mich, der ich mich nicht als Musiker fühle, ist es ein ungeheures Kompliment, wenn ich auf dieser instinktiven Ebene ein positives Feedback von einem Musiker bekomme.

Ein Feedback eines Ensembles ist es, einen Auftrag zu bekommen...

Ja, und nun den zweiten Auftrag vom EM bekommen zu haben, ist für mich natürlich eine Auszeichnung. Ganz im positiven Sinne, denn das heißt: Wir haben gerne mit dir zusammengearbeitet und würden uns freuen, wenn du wieder etwas für uns schreibst.

Bei Auftragswerken und den damit verbundenen Uraufführungen wird immer wieder die Frage nach dem Neuen gestellt. Ist das wirklich die entscheidende Frage oder geht man hier einem Attribut auf den Leim und lässt andere, viel wesentlichere Kriterien von Musik außer Acht?

Natürlich. Das Neue, das ist so ein vorgeschobenes Argument, das lässt sich ja nicht kalkulieren. Das sind ganz und gar kunst- und lebensfeindliche Haltungen, mit denen ich nichts zu schaffen haben will.

Sollten denn mehr Aufträge von staatlicher Seite aus vergeben werden?

Das lässt sich ja nicht bürokratisieren und regulieren, sondern es gibt Ensembles, die einfach ein glücklicheres Händchen bei der Auftragsvergabe haben und das wirkt natürlich auf ein Ensemble zurück. Im Grunde ist es egal, ob ein Auftrag privat oder staatlich finanziert wird. Entscheidend ist, dass derjenige, der die Gelder vergibt, auch die Auseinandersetzung führt und kompetent ist.

Nun gibt es Stipendien und Preisgelder für Komponisten, aber welchen Stellenwert haben Aufträge in finanzieller Sicht ? Können sie neben dem künstlerischen nicht nur einen symbolischen Wert haben?

Ich bin jetzt seit fast 10 Jahren freischaffend. Wenn ich nur die Aufträge gehabt hätte, hätte ich nicht überleben können. Ich arbeite ja mehr oder weniger regelmäßig bei der Theaterproduktion "Max Black" von Heiner Goebbels mit und dann kamen noch verschiedene Preise dazu. Es ist unterschiedlich. Natürlich gibt es Komponisten, die davon leben können, gerade die renommierten. Und paradoxerweise scheint es so zu sein, dass du in dem Moment, in dem du davon leben könntest, oft auch wieder weitere andere Einnahmequellen bekommst, wie etwa eine Professur oder ähnliches.

Hast du Dir schon mal überlegt, das Komponieren aufzugeben, weil es an die existentiellen Grenzen geht?

Absolut. Vielleicht ist es in der Musik auch extrem. Ich weiß nicht, ob z.B. ein Dramatiker, der für eines der besten Theater der Welt schreibt Existenzprobleme hat - das müsste man vielleicht mal vergleichend untersuchen.

Der Multiplikationsfaktor ist in der Musik wahrscheinlich relativ niedriger als in der bildenden Kunst oder Literatur.

Ich glaube, dass die Auftrageber einfach nicht mehr Geld zur Verfügung haben. Aber ich weiß auch nicht, ob es wirklich ein Bewusstsein dafür gibt, was es heißt, freischaffender Komponist zu sein. Die Honorare werden sicher auch dadurch gedrückt, dass eigentlich niemand dieses Thema anspricht. Ich habe schon ein paar Mal geäußert, dass das Honorar eigentlich nicht ausreicht und der entsprechende Redakteur schien wirklich erstaunt zu sein. Vielleicht wird es auch deshalb nicht geäußert, weil es die Situation von vielen Kollegen nicht erfordert, da sie durch eine andere Einnahmequelle wie etwa einen Hochschuljob abgesichert sind.

Würdest Du ein Stück ablehnen, nicht wegen inhaltlicher Vorgaben, sondern weil Du vielleicht Bestimmtes noch nicht bewältigen kannst?

Ja, ich habe lange Zeit Solostücke abgelehnt - aus genau diesem Grund. Das hat witzigerweise auch mit dem EM zu tun, da ich für einige Portraitkonzerte von verschiedenen Musikern angefragt wurde und ablehnen musste. Solostücke sind für mich das Schwierigste überhaupt.

Aber jetzt schreibst Du ein Klavierstück. Jetzt traust Du Dich da ran.

Jetzt schreibe ich ein Klavierstück. Wobei das etwas speziell ist, da dieses Stück u.a. Gedanken aufgreift, die in "Vertigo" eine Rolle spielen. Es ist also kein Kaltstart, sondern ich greife auf etwas zurück und darum lautet der Titel auch ganz einfach "zurück".

Das wäre aber in Deinen Stücken nicht das erste Mal. Diesmal also nicht nur thematisch, sondern in der musikalischen Verarbeitung?

Ja, das ist schon in "Vertigo" drin, aber hier ist es, wenn man das Werk im Ganzen betrachtet, nicht mehr so prominent und hat eine andere Funktion. Das Klavier springt immer wieder an den Anfang zurück und ich springe auf andere Stücke zurück.

Sind Komponisten käuflich?

Ich bin selbstverständlich käuflich - das hängt allerdings von der Höhe des Betrags ab. Wenn jemand mir sehr, sehr viel Geld für ein Stück für Mundharmonika bieten würde, woran ich gar kein Interesse habe, naja, dann würde ich's mir schon überlegen. Das ganze Thema ist sehr schwierig, weil man ja auch seine Partner nicht vor den Kopf stoßen will. Überhaupt, dieses blöde Thema Geld, da kann ich nur Wolfgang Rihm zitieren: "Kunst ist unbezahlbar". Das ist wahr, aber man muss auch von etwas leben.

Das schwierige ist bei diesen Themen, dass es fast unmöglich ist, öffentlich offen zu sprechen.

Man kann immerhin versuchen, eine gewisse Offenheit zu bewahren.

Vielen Dank für das Gespräch.