Kunst ist unbezahlbar!

Interview mit Enno Poppe

2000 erhielten 10 junge Komponisten Aufträge von der Stadt Frankfurt am Main, im Rahmen des Millenniumprogramms »Frankfurt 2000« Werke für das Ensemble Modern zu schreiben. Darunter Markus Hechtle, Enno Poppe und Johannes Maria Staud, die inzwischen alle mit dem Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichnet wurden. Von ihnen wird das EM auch in diesem Jahr wieder Werke zur Aufführung bringen: neue Auftragskompositionen von Markus Hechtle und Johannes Maria Staud sowie u.a. ein Orchesterwerk von Enno Poppe mit dem Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von Pierre Boulez. Dies nahm das EM zum Anlass, mit den Dreien einmal über die Umstände der Entstehung ihrer Musik zu sprechen, Herausforderungen, Chancen und Schwierigkeiten des Komponistenalltags. Ein heikles Thema, das Mut zur Offenheit verlangt - wir haben es trotzdem versucht. Die Fragen stellte Susanne Laurentius.

Ensemble Modern: Es wird in diesem Gespräch weniger um Kunst an sich, als um die Umstände von Kunst, nämlich um Auftragskompositionen gehen. Ausgangspunkt ist, dass das EM früher wenig Möglichkeiten hatte, Aufträge zu vergeben, weil es keine Gelder dafür hatte. Ein großer Einschnitt waren die zehn Auftragskompositionen 2000, wo auch Markus Hechtle, Johannes Staud und Du dabei waren. Was uns jetzt interessiert ist, was sich für Euch daraus ergeben hat und welche neuen Erfahrungen Ihr gemacht habt.
Hat sich irgendetwas nach diesem Auftrag vom EM für Dich verändert?

Enno Poppe: Es hat sich dadurch für mich sehr viel verändert. Es war der erste wirklich große Auftrag, den ich bekommen habe. Ich habe dadurch gesehen, was alles geht und es hat vor allem auch meinen Mut gestärkt. Vorher war mir eigentlich unklar, was alles möglich ist. Solange ich nur für die Schublade geschrieben habe, habe ich mich bestimmte Dinge gar nicht getraut. Das EM hat mich extrem bestärkt, zudem konnte ich damals mit Musikern sehr viele Dinge ausprobieren. Das waren Erfahrungen, die sehr wertvoll waren.

Wie wichtig sind Vorgaben bei der Annahme eines Auftrages?

Inhaltliche Vorgaben lehne ich eigentlich prinzipiell ab. Am Liebsten sind mir gar keine, abgesehen von Dauer und Besetzung, das geht ja nicht anders. Allein die Besetzung ist schon eine starke Vorgabe, die mich in meinen Möglichkeiten einschränkt. Aber man kann dann auch mit dieser Einschränkung gute Erfahrungen machen, zum Beispiel, dass auch ein großes Orchester nicht lauter sein kann als das EM. Manchmal hat man klangliche Vorgaben, die interessant sein können. Das sind dann kreative Vorgaben, bei denen sich bei mir sofort etwas einstellt.
Ich habe jetzt zum Beispiel eine Anfrage bekommen für ein Stück für vier Singstimmen und vier Posaunen, das finde ich als Klang einfach unheimlich schön. Der wäre mir von selbst wahrscheinlich gar nicht eingefallen. Das war also tatsächlich so eine kreative Vorgabe.

Die Rahmenbedingungen eines Auftrages, sind das für Dich eher Herausforderungen oder Beeinträchtigungen? Mit Rahmenbedingungen meine ich zum Beispiel Dauer, Besetzung oder mit welchen anderen Stücken das Stück programmiert werden soll. Denkt man über so etwas nach?

Ich kenne die meisten Veranstalter ganz gut. Gerade für die Neue Musik Festivals habe ich relativ viel geschrieben und da ist vieles Verhandlungssache. Man kann dann bestimmte Sachen mit den Veranstaltern besprechen und auch sagen, was man gerne machen möchte. Es ist nicht unbedingt so, dass die Veranstalter sagen, was man schreiben soll, sondern ich sage, was ich gerne für ein Projekt machen würde und dazu hätte ich gerne bestimmte Musiker und dann sagt der Veranstalter vielleicht "Das machen wir." Das finde ich super, wenn Festivals sozusagen auch Ermöglichungsräume sind. Das geht natürlich nicht immer, gerade, was die Musiker anbelangt. Es kann ja nicht jeder seine eigenen Musiker mitbringen und auch mit der Dauer des Stücks geht das nicht immer. Man sitzt mit den Veranstaltern im selben Boot, das sind keine Feinde. Insofern wollen die mich auch nicht kaufen, sondern mit mir zusammen arbeiten. Im Grunde sind auch die Veranstalter Kollegen, mit denen ich gemeinsam die Musik weiter entwickle.

Würdest Du ein Stück ablehnen, nicht wegen inhaltlicher Vorgaben, sondern weil Du vielleicht Bestimmtes noch nicht bewältigen kannst?

Ich fühle mich höchstens Projekten nicht gewachsen, wenn ich keine Zeit habe, das ist dann eigentlich das Hauptargument.

Das EM hat letztes Jahr mit chinesischen Komponisten zusammengearbeitet und dabei auch zwei Aufträge vergeben. Die Komponistin Zhang Lida hat in der Einführung in Frankfurt zu diesem Auftrag gesagt, dass sie zum ersten Mal keine Vorgaben hatte und nicht wusste, wie sie mit dieser Freiheit umgehen sollte. Da habe ich mich gefragt, wie frei ein mitteleuropäischer Komponist eigentlich wirklich ist. Inwieweit beeinflusst es Dich, wenn Du weißt, für welches Ensemble du schreibst?

Natürlich beeinflusst das, und natürlich schreibe ich zum Beispiel für das Klangforum anders, als für das EM. Das ist sehr wichtig, denn dieser Umstand inspiriert mich. Aber das würde ich nicht als Vorgabe in dem Sinne sehen, wie wenn man zum Beispiel ein Stück zum Mozartjahr schreiben sollte. Das ginge ja weit darüber hinaus.

Nun gibt es Stipendien und Preisgelder für Komponisten, aber welchen Stellenwert haben Aufträge - außer in künstlerischer - in finanzieller Sicht? Hast Du schon mal überlegt, das Komponieren aufzugeben, weil es an die existentiellen Grenzen geht?

Aufträge sind sehr wichtig, ohne Aufträge würde es überhaupt nicht gehen. Aber ich bin sicher, ich würde auch komponieren, wenn ich keine Aufträge bekommen würde. Aufträge stellen aber tatsächlich den entscheidenden Anteil meiner Einnahmen dar. So kann ich Sachen realisieren, die ich, wenn ich keine Aufträge hätte, so vielleicht gar nicht schreiben würde. Ich glaube nicht an die Macht der Schublade, also dass ich bei den ohne Auftrag entstandenen Werken viel freier bin. Die Art von Vorgabe, dass ich mir den Musiker schon vorstellen kann, wenn ich das Stück schreibe, inspiriert mich eigentlich. Aufträge halten mich lebendig, weil ich auf die Weise auf jeden Fall den lebendigen Kontakt zu den Musikern behalte.

Was mich in diesem Zusammenhang eigentlich fast am meisten interessiert ist, welche Form der Auseinandersetzung es mit den Auftraggebern nach der Uraufführung eines Stückes gibt.

Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht genau. Bei Sachen, die nicht so gut ankommen gibt es manchmal so eine Art Kommunikationsvermeidung, das finde ich dann sehr schade. Ich versuche, wenn ich selbst etwas veranstalte - ich bin ja auch Ensembleleiter - immer auch zu den Komponisten Kontakt zu haben und hinterher auch Probleme anzusprechen, weil das unheimlich wichtig ist. Tatsache ist, dass diese Auseinandersetzungen mit den Musikern oft viel besser zu führen sind. Wenn man gerade eine gute Probenphase hat und nicht immer alle gleich nach der Probe nach Hause gehen, ist das eigentlich der Ort, an dem die interessantesten Auseinandersetzungen stattfinden. Ein Veranstalter hört vielleicht gar nicht so genau hin, wenn ein Stück nur einmal aufgeführt wird, weil er sich dann noch um so viele andere Sachen kümmern muss. Da habe ich Verständnis für, die Veranstalter sind in diesem Moment mit ihrer Organisation beschäftigt und sind nicht immer offen für die Musik. Obendrein müssen sie das, was sie gekauft haben, auch noch weiterverkaufen, die können also eigentlich gar nicht sagen, dass es kein gutes Stück ist, weil sie dem, der es finanziert hat, ja auch ein positives Gefühl vermitteln müssen. Mit Veranstaltern finden also eigentlich nicht die interessantesten Gespräche statt.

Können Veranstalter überhaupt den Mut aufbringen, zu sagen, dass es ihnen überhaupt nicht gefällt und sie die falsche Wahl getroffen haben?

Wenn sie das können, ist das gut. Aber ich finde es auch gut, wenn Veranstalter den Dingen etwas Zeit geben. Ein Veranstalter will ja auch etwas ausprobieren. Manches stellt sich vielleicht nicht sofort als so gut dar, aber ein Veranstalter sollte auch an seinem Interesse festhalten. Das wäre schon viel und dann ist auch eine Auseinandersetzung möglich. Sich als Veranstalter sofort zurückzuziehen ist keine produktive Kritik.

Wer gibt Dir überhaupt offen Kritik?

Kollegen - Kollegen geben eigentlich immer die offenste Kritik. Unter Kollegen kann man einander eigentlich immer recht viel sagen. Und ich bekomme auch von Musikern immer sehr gutes Feedback oder eben auch kritisches Feedback, aber das zielt grundsätzlich natürlich auf andere Dinge. Musiker achten bei Musik eben auf andere Sachen, als Komponisten, insofern ist das natürlich eine andere Rückmeldung.

Wir machen jetzt mit Dir in Hamburg "Salz" und dann im Herbst mit Boulez "Obst". Diese beiden Stücke sind nicht im Auftrag des EM entstanden, kannst du trotzdem etwas, vor allem zu "Obst", sagen? Das ist sicherlich etwas besonderes, von Boulez dirigiert zu werden?

Das ist eine sehr große Ehre für mich. Hätte ich gewusst, dass "Obst" mit Boulez und dem EMO gespielt werden würde, hätte ich es von Anfang an anders angelegt. Das ist so ein Punkt, wo sich die Konzeption - welchen Klang stelle ich mir beim Schreiben vor, für wen schreibt man - auf die Komposition auswirkt. Ich hätte das Stück ganz anders schreiben können, wenn ich das im Hinterkopf gehabt hätte. Auch für die Uraufführung, auf die wäre es mir dann vielleicht nicht so angekommen.

Aber Du schreibst es jetzt nicht noch mal um, extra für das EMO?

Doch, ich schreibe es tatsächlich noch ein bisschen um. Aber nicht extra für das EMO, das kann man nicht sagen. Ich schreibe es für mich selbst um und ich schreibe es für diese Aufführungen um, weil ich das Gefühl habe, das Stück wird dadurch besser.

Kannst Du sagen, was Du vielleicht anders angelegt hättest?

Das ist nicht so einfach zu sagen. So ein Ensemble wie das EMO gibt es sonst gar nicht. Ein Stück, das für das EMO direkt geschrieben wird, kann Sachen ausprobieren, die sonst gar nicht gehen. Das fängt schon mit der Probenzeit an. Im normalen Orchesterbetrieb bekommt man wenig Proben, weil Probenzeit sehr teuer ist, so dass man von bestimmten Dingen einfach von vornherein absehen muss. Es geht außerdem um Fragen von Virtuosität und Mikrotonalität oder auch um Rhythmus. Da hätte ich schon gerne ein paar Dinge mit dem EMO ausprobiert, um zu sehen, wie weit man überhaupt kommen kann.

Du wärst also an andere Grenzen gegangen und hättest extremer komponiert?

Ja, auf jeden Fall.

Du hast im Jahr 2000 noch gesagt, dass Du Verlage überhaupt nicht gut findest.

Nicht ganz. Ich habe ihre Rolle kritisch gesehen. Manches von dem, was ich damals kritisch gesehen habe, sehe ich immer noch so. Genau diese Tatsache, dass man an Vieles gar nicht rankommt. Mittlerweile würde ich das allerdings nicht mehr alles den Verlagen selbst anlasten. Das Problem ist, dass wir in einer Kultur des musikalischen Analphabetismus leben, keiner kann Noten lesen. Also kauft auch niemand Noten und deswegen wäre es für die Verlage ein unglaubliches Verlustgeschäft, diese Noten alle in den Handel zu bringen. Das heißt, dass die Sachen zwangsläufig zu teuer sind, weil sie einfach niemand haben will. Das finde ich nach wie vor sehr bedauerlich.

Meinst Du, es wäre gut, mehr staatliche Aufträge zu vergeben? Oder würde das etwas ändern?

Da ist die Frage, was staatlich ist. Es gibt ja den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der, glaube ich, mit Abstand das meiste für die Neue Musik tut. Das sind ja keine völlig unabhängigen Institutionen, sondern eher halb-staatliche. In Berlin gibt es zum Beispiel ein ganz gutes Fördermodell: Es gibt offizielle Förderungen, die dann aber wiederum von den Beteiligten selbst verwaltet werden. Das Entscheidende ist, dass man, wenn man von staatlichen Mitteln spricht, eigentlich fragen muss, wer diese Mittel verteilt. In Kulturbehörden sind erfahrungsgemäß nicht die wirklich kompetenten Leute für die Verteilung der Gelder zuständig.

Die Frage ist ja auch, welche Komponisten nach welchen Kriterien ausgesucht werden.

Ganz genau.

Kannst Du darauf antworten?

Nein. Da musst Du jemanden fragen, der die Komponisten aussucht!


Es gab ja mal die "Donauwelle". Da wurde unter anderem die Forderung gestellt, das Entscheidungen und Jurysitzungen alle öffentlich stattfinden sollte. Aber das ist ja auch bei vielen jungen Komponisten gar nicht so gut angekommen.

Ich glaube, es war nicht gut, wie das gemacht wurde. Aber es war geradezu exemplarisch dafür, wie es eben nicht laufen kann. Eine basisdemokratische Idee kann eigentlich nicht funktionieren. Man muss ein gewisses Maß an Vertrauen zu den Personen haben, die entscheiden. Es gibt viele Festivals und ich finde es gut, wenn die sich voneinander unterscheiden und alle ihre eigene Richtung haben.

Bei Auftragswerken und den damit verbundenen Uraufführungen wird immer wieder die Frage nach dem Neuen gestellt. Ist das wirklich die entscheidende Frage oder geht man hier einem Attribut auf den Leim und lässt andere, viel wesentlichere Kriterien von Musik außer Acht?

Für mich ist das sicher eine der ganz wichtigen Fragen. Es ist die Neugier, die einer der leitenden Antriebe dabei ist. Wir machen alles, was wir machen, auch deshalb, weil wir gegenüber dem, was immer im Radio kommt, ein gewisses Unbehagen verspüren. Es gibt einerseits diese immer gleiche Musik und andererseits den Trieb, neue Sachen auszuprobieren und Dinge zu hören, die man so noch nicht gehört hat. Das ist eine ganz grundlegende Kategorie. Es gibt einmal das Heroisch-Neue, wenn jemand zum ersten Mal auf den Mond fliegt; und dann gibt es aber auch einfach die vielen weißen Flecken auf der Landkarte, die weniger spektakulär sind, die aber auf jeden Fall auch unter dem Gesichtspunkt des Neuen interessant sind. Je weiter man weggeht, desto weniger Unterschiede erkennt man. Wenn man näher rankommt, ist alles verschieden und es gibt die unglaublichsten und spannendsten Dinge. Wenn man ganz nah ranschaut, wird man sehen, dass jeder Komponist etwas Anderes erfindet. Das ist einfach ein Zeichen mangelnder Ahnung und mangelnden Respekts vor dem, was die Leute ausprobieren, wenn man sagt, das hätte es alles schon gegeben.

Sind Komponisten käuflich?

Schwer zu sagen, das Wort klingt so böse. Ich werde bezahlt für das, was ich tue und das ist vollkommen in Ordnung. Das heißt auch, dass man mir einen Auftrag geben kann und ich trage dann meinen Teil dazu bei. Das muss so sein. Andere Leute haben ja auch einen Beruf und werden dafür bezahlt und man bezeichnet sie deswegen nicht gleich als käuflich.

Was ist Dein nächster Auftrag?

Ich schreibe gerade ein Musiktheaterprojekt für nächstes Jahr für die Opernbiennale in München und außerdem doch noch ein Orchesterstück für Boulez für nächstes Jahr in Donaueschingen mit dem SWR-Orchester.

Mit wem machst Du die Oper zusammen?

Mit Anna Viebrock, Regie, Marcel Bayer schreibt den Text und mit Graham Valentine, Omar Ebrahim, den Vokalsolisten und der Musikfabrik.

Worum geht es?

Um Robinson Crusoe. Ein gutes Thema, weil jeder kennt es und du kannst damit eigentlich alles machen.

Wie bist Du auf dieses Thema gekommen?

Ich habe lange gesucht nach irgendwas wirklich griffigem und griffiger geht es eigentlich kaum. Robinson ist so eine Art mythologische Figur, obwohl die wenigsten das Buch gelesen haben.

Wir wünschen Dir für dieses Projekt alles Gute und bedanken uns für das Gespräch.