Kunstvermittlung

Interview mit Winrich Hopp, Vorstandsmitglied der Kunststiftung NRW

In Zusammenarbeit mit der Kunststiftung NRW richtete die IEMA ein Stipendienprogramm ein. Mit Winrich Hopp, Vorstandsmitglied der Kunststiftung NRW, unterhielten sich Dietmar Wiesner, Roland Diry und Christiane Engelbrecht.

Internationale Ensemble Modern Akademie: Die Kunststiftung NRW war vor knapp drei Jahren der Anschieber für die Ausbildung bei der IEMA. Die ersten Stipendiaten kamen aus Nordrhein- Westfalen. Sie hatten dazu von Anfang an eine sehr persönliche Vorstellung.


Winrich Hopp: Ja. Die Musik des 20. Jahrhunderts ist bis heute, also bis ins 21. Jahrhundert hinein, von zwei außerordentlichen Innovationsschüben geprägt: einmal durch die neue Musik und zum anderen durch die historische Aufführungspraxis. Grob gesagt: Mit der ästhetischen Integration und Reflexion neuer Technologien und Medien korrespondierte die Erforschung der über lange Zeit vergessenen Archivbestände. Diese beiden innovativen Strömungen haben aber niemals ihre rechte institutionelle Sicherung erfahren. Wichtigste Förderer, die nicht nur Geld, sondern auch Produktionsmittel und -räume zur Verfügung gestellt haben, die für die öffentliche Präsentation und die mediale Verbreitung gesorgt haben, waren in Deutschland, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die aber, aus welchen Gründen auch immer, dieser so geschichtsträchtigen wie auch schönen Aufgabe in nicht mehr gleichem Maße nachkommen wie bisher. Diese Fakten muss man vor Augen haben, wenn man über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Musikförderung nachdenkt, einerlei ob es um Fragen der institutionellen oder um solche der Projektförderung geht. Die Kunststiftung NRW verfolgt - gemäß ihrer Satzung - allein die Projektförderung, daneben hat sie auch eine Reihe von Programmen zur Förderung junger hochbegabter Musiker. Stipendien und Meisterkurse zum Studium des so genannten Konzertrepertoires gibt es in Hülle und Fülle, auch die Musikhochschulen konzentrieren sich ja gerne mit besonderer Energie auf diesen Bereich. Im Rahmen eines Stiftungsprogrammes ist es insofern nur konsequent, den jungen Musikern die Auseinandersetzung mit den nachhaltig innovativen Strömungen zu ermöglichen, die das 20. Jahrhundert gezeitigt hat. Wichtig war mir erstens, dass die Lehrenden und Lernenden wirklich miteinander arbeiten wollen, deshalb gibt es intensive Vorgespräche, zweitens, dass die Stipendienzeit von hinreichender Dauer ist (zwölf Monate), drittens, dass die Stipendiaten nicht in einem akademischen Schutzbau fernab des praktischen Musiklebens, sondern in dieses selbst mitten hinein versetzt werden, viertens, dass die betreffende Partnerinstitution den Stipendiaten die Möglichkeit eröffnet, im internationalen Musikleben Kontakte zu knüpfen, Kollegen zu finden, Freundschaften zu schließen. Das war meine Vorstellung, mit der ich zum EM gekommen bin, und das selber von ganz ähnlichen Ideen bewegt war. So ging das eben los.

Hatten Sie sich auch ein Signal für die Hochschulen gewünscht oder sehen Sie das getrennt voneinander?


Hochschulen und IEMA - das habe ich zunächst eher getrennt gesehen. Hochschulen sind Institutionen, die anders gefügt sind und in anderen Formen arbeiten als eine Akademie wie die des Ensemble Modern. Das zeigt sich ja schon rein formal: Unterhält eine Hochschule beispielsweise ein Studentenorchester, so ist es im Fall der IEMA das Ensemble, das um eine Akademie ergänzt ist. Das ist genau umgekehrt, insofern nicht vergleichbar und vermutlich gerade deshalb eine gute Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wenn ich das richtig sehe, erfolgt diese ja auch bereits zwischen IEMA und der Frankfurter Musikhochschule. Und warum sollte das nicht auch im internationalen Kontext noch ausbaubar sein? Außerdem ist das Wort »Akademie« im Namen »IEMA« für mich mit einem durchaus provokativen Akzent versehen. Bei einer Akademie vermuten wir ja zunächst die Pflege irgendeines theoretischen Diskurses, die vom Druck und den Zwängen des lebenspraktischen Alltags, denen auch Wissenschaft und Bildung ausgesetzt sind, weitgehend befreit oder entlastet ist. Bei der IEMA verhält sich auch das genau anders herum: Hier ist die Akademie in die konkrete Musik- und Lebenspraxis des Ensembles eingelagert.

Gehen wir davon aus, dass an der Hochschule die Musik bis in die 1920er Jahre hinein gelernt wird und dass diese 70, 80 Jahre Musikgeschichte von den 1930er Jahren bis heute an der Hochschule keinen Platz hat, dann klafft da doch inzwischen eine ganz schöne Lücke. Inwieweit kann die IEMA dazu beitragen, diese zu schließen?


Natürlich einfach dadurch, dass diese Musikgeschichte, also die Werke, die Ideen und die Formen ihrer Realisation und Präsentation vermittelt werden. Die eigentliche Bestimmung der IEMA kann aber nicht in der Aufarbeitung der klassischen Moderne und der Avantgarde liegen, sondern in der Auseinandersetzung der Musik in ihren gegenwärtigen und möglichen Beziehungen zu den übrigen Künsten, sowohl zu den darstellenden und bildenden als auch zu denen, die durch die neuen Medien generiert werden. Damit spiegelt die IEMA exakt die dem Ensemble Modern eigene, ja: eigenste Physiognomie wider, die mit der Musik, wie wir sie gewöhnlicherweise mit der überlieferten Konzertpräsentation assoziieren, gar nicht mehr zu vergleichen ist. Die Musik von heute bis zur klassischen Moderne ist natürlich unerhört wichtig für die IEMA, weil diese Musik zum Erfahrungssediment des Ensembles gehört und eben deshalb vermittelt werden muss - zum Guten aller künftigen Gegenwartsmusik. Elektroakustische, live-elektronische Musik, Musik und Film, das sind nur einige Schlagworte für die Desiderate der Vermittlung in unserem Musikleben, natürlich auch das Musiktheater, die Beschäftigung mit anderen Musikkulturen: eine Selbstverständlichkeit für Musiker wie Debussy, Bartók, Messiaen, Boulez und Stockhausen.

Fänden Sie es wünschenswert, wenn eines Tages Stücke wie Heiner Goebbels' Schwarz auf Weiß oder Eislermaterial innerhalb der Akademie weitergegeben werden, damit solche Werke überlebensfähig bleiben?


Selbstverständlich. Aber nicht nur, damit die Werke überlebensfähig bleiben, sondern damit diese sehr besondere kreative und gemeinschaftliche Arbeit, die jeden einzelnen Musiker von Kopf bis Fuß, mit Haut und Haaren, mit all seinen professionellen und seinen ihm selber zunächst noch verborgenen Fähigkeiten in die künstlerische Werkgenese und Aufführung einbezieht, erhalten, gepflegt und weitergebildet wird.

Wir haben neulich mit einigen Stipendiaten unseres Jahrgangs gesprochen. Sie möchten selbst etwas gestalten, etwas Interdisziplinäres, mit Theater, Raum und Licht. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass sie ausgerechnet hier auf diese Ideen gekommen sind, da die Lehrer, die Musiker des EM, wissen, wie man an ein solches Projekt herangeht und wie es durchgeführt und vermittelt werden kann. Die Stipendiaten haben um Hilfestellungen gebeten und um Raum und Zeit.


Das wundert mich nicht. Wer sich der Kunst widmet, sucht ja einen besonderen Zugang zum Leben. Und dann entsteht auch der Wunsch, Worte, Gebärden, Töne, Raum und Licht zu einem Ereignis von besonderer Lebensnähe und Lebendigkeit zusammenzuführen. Die theatrale Kunstform teilt mit dem Leben die Präsenz von Wort und Gebärde. Das sorgt für eine unerhörte Durchlässigkeit. Wenn die Kunst sich aufgrund sozialer oder politischer Schieflagen bisweilen zur Stellungnahme herausgefordert sieht, dann geschieht das gerne zuerst auf der Theaterbühne. Mit dem sprachlosen Laut der Musik und dem stummen Blick des Bildes allein ist so etwas kaum zu leisten. Und dass die IEMA-Stipendiaten auch interdisziplinäre Ideen verfolgen, verstehe ich auch als Wunsch, die Auseinandersetzung mit der Kunst und den Künsten selbst zu thematisieren, d.h. die künstlerische Arbeitssituation selber zu einer Kunstform werden zu lassen. All das tendiert wie von selbst zum Szenischen und Theatralen, verlangt am Ende profunde Erfahrung und Kenntnisse in Sachen Regie, und ist insofern bei einem interdisziplinär arbeitenden Ensemble besonders gut aufgehoben. Für einen Musiker kann eine solche Auseinandersetzung unerhört fruchtbar sein. Am Ende stellt er sich dann die Frage: Wie treten wir auf? Wie präsentieren wir Musik? Wie sieht das eigentlich alles aus?

Sehen Sie eine Gefahr der »Verakademisierung « oder die Gefahr, dass das Ganze zu sehr Laborcharakter bekommt und am wirklichen Leben und an der gesellschaftlichen Auseinandersetzung vorbei geht?


Der »Laborcharakter« ist ästhetisch nur von Bedeutung, wenn er selber ganz Kunst wird, sozusagen 150prozentig durchgeführt ist. Alles andere ist bloßes Liegenbleiben auf halber Strecke. Man kann alles im Zustand des Unfertigen, des »Laborhaften« belassen, selbst den Zustand des »Laborhaften«. Aber dann ist es nicht Kunst. Umgekehrt lässt sich alles »verakademisieren«. Und dann kann man die »Verakademisierung« auch noch institutionalisieren. Das ist ein Zustand, der so schrecklich ist, wie das Wort schon klingt. Die »Verakademisierung« entsteht, wenn man nur noch über die Dinge spricht, ohne sie noch zu tun, oder sie in der Weise »erledigt«, in der man sich über sie zu sprechen angewöhnt hat. Wird Musik stets auf die gleiche Weise vermittelt, passiert auch immer das Gleiche. Die - gelingende - Vermittlung aber ist selber schon ein Akt der Kunst, nicht erst ein Schritt zu ihr. Indem die Vermittlung sich als Kunst realisiert, ist sie auch schon - in ein und demselben Zug - in die Kunst hinein verschwunden. Dafür gibt es keine Regel, kein Rezept. Das muss jedes Mal neu generiert werden. Da berührt die Spontaneität der Kunst die Spontaneität des Lebens. Das Ensemble Modern ist wirklich nicht zu beneiden: Schon als Ensemble muss es sich jedes Mal aufs Neue erfinden, und nun gibt es auch noch die Akademie, für die das Gleiche gilt. In Wahrheit ist das jedoch ein beneidenswerter Zustand: von Kunst, von Freiheit.

www.kunststiftungnrw.de

Ensemble Modern