...ce qui arrive...

Interview mit Olga Neuwirth und Dominique Gonzalez-Foerster

Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth hat gemeinsam mit der französischen Videokünstlerin Dominique Gonzalez-Foerster mit "...ce qui arrive..." eine Raumkomposition geschaffen, deren dramaturgisches Gesamtkonzept auf dem beständigen Wechsel zwischen Musik, Bild und Sprache beruht. Im Oktober findet beim steirischen herbst in Graz die Uraufführung statt.
Roland Diry und Susanne Laurentius sprachen mit den Künstlerinnen über ihre Zusammenarbeit, die Entstehung des Werks und - den Zufall.

Ensemble Modern: Wie kam die Zusammenarbeit zwischen euch beiden für "...ce qui arrive..." eigentlich zustande?


Olga Neuwirth: Film hat mich schon immer begeistert. Daher war es sehr spannend für mich, als ECHO (European Concert Hall Organization) mit einem Auftrag für ein Musik/Videoprojekt auf mich zukam. Als ich dann erneut darüber nachdachte, mit wem ein solches Vorhaben zu verwirklichen sei, kamen mir drei französische Videokünstler meines Alters in den Sinn, deren Werdegang ich seit einiger Zeit verfolge: Philippe Parreno, Pierre Huyghe und - Dominique Gonzalez-Foerster. Bei ihr mochte ich besonders ihren Umgang mit Erinnerungen und Raum, die Art wie sie Raum gestaltet. Da der räumliche Aspekt mich auch sehr beschäftigt, fragte ich sie und die Geschichte begann.

Dominique-Gonzalez-Foerster: Du hattest mir einen Brief geschrieben. Ich erhielt also eines Tages einen Brief einer mir bis dahin unbekannten Komponistin. Aber meine Neugier war geweckt worden und ich begann, alles mögliche herauszufinden, anzuhören und bekam schließlich den Eindruck, dass es eine große künstlerische Nähe gab. Der Schlüssel dazu war eigentlich, dass ich auf deiner Homepage als erstes auf den Namen Klaus Nomi gestoßen bin - und dazu kommt, dass die Bühne mich generell schon seit längerem reizte.

Wie gestaltete sich dann die Zusammenarbeit?

ON: Zunächst trafen wir uns in Paris und ich erzählte Dominique von meinen Ideen. Ich dachte sofort an das große Thema "Zufall", denn Alltag ist nichts anderes als purer Zufall. Dann beschloss ich, mit Texten von Paul Auster zu arbeiten und der Frage nachzugehen, wie ein Künstler heutzutage eigentlich überlebt. Ich hatte einige grundsätzliche "Ideeninseln": Unsicherheit, Identitätssuche und Zufall und wie dieser unser Leben beeinflussen kann, ohne dass wir irgendetwas dagegen tun könnten. Zufall kann sowohl Limitation von Freiheit bedeuten, als auch wie ein Utopos, ein Un-Ort sein, und damit sind wir schon bei einem "Meer an Möglichkeiten". Den Titel ...ce qui arrive... entlehnte ich einem Ausstellungskatalog Paul Virilios über Zufall und Katastrophen. Ich mag auch das Siegmund-Freud-Zitat, wo er über seine Beziehung zum Tod spricht und dass eine bestimmte Anhäufung von Ereignissen den Eindruck des Zufalls unterbindet. Über diese Dinge entspann sich eine Diskussion, und wir traten in einen Dialog.

DGF: Ja, und der war dem Thema des Stücks sehr ähnlich. Vieles kam wie zufällig, es begann ein sehr offener Arbeitsprozess. Es gab eine Struktur, ein paar Ideen, aber weder ein fertiges Konzept oder eine konkrete Vorstellung. Wir erhöhten die Anzahl der Parameter immer mehr, um zu sehen, was übrig bleiben konnte und was schließlich zu - ich will nicht sagen "Realismus" -, sondern einer Art modelliertem Leben führte. Wir haben die Bühne, die Musiker, die Leinwand, das Licht, den Raum, Lieder, Elektronik, Texte, gelesen von Paul Auster, das Video, in dem Georgette Dee auftritt - dies alles entsprach immer mehr einer wirklichen Ordnung denn einer Vorstellung im theatralischen Sinn. So haben wir ein kniffliges System von Interaktion geschaffen.

Die großen Themen des Stücks sind Zufall, Unsicherheit, Alltag. Wie bringt ihr diese Dinge in eurem jeweiligen Medium in das Stück ein?

ON: Ich verwende Zufall - anders als John Cage - nicht zur Strukturerzeugung. Zufall sollte nicht die Form, sondern der Inhalt sein. Darum die Texte von Paul Auster. Das Stück dauert rund 55 Minuten. Ich mag die Idee des goldenen Schnitts. Aber was in diesen 55 Minuten geschieht, da waren wir beide völlig frei. Natürlich haben wir auch Fragen diskutiert, wie etwa die Musiker eingebunden werden können, so dass sie eben nicht nur wie bei einem Stummfilm zum Film spielen. Da musste es etwas anderes geben. Ich dachte an Andy Warhols My Mind Split Open aus den 70ern - das war Musik im Raum zusammen mit rotierenden Projektoren. Für die Musik habe ich sozusagen drei gegenständliche Themen: Die Außenwelt mit Wind und Wasser, verbunden mit der flüsternden Stimme Paul Austers und diesem Gefühl eines Un-Ortes. Dann gibt es quasi einen geschlossenen Raum: Der Künstler, der von einer Idee, die auch zum Gefängnis werden kann, einmal gefangen, versucht, seinen eigenen Weg zu finden, muss sich jeden Tag neu erfinden. Auch geht es ums Geld verdienen, Darum erfindet Auster ein Kartenspiel namens "Action Baseball", das in Hand to Mouth vorkommt, als eine Art Hoffnung, mit den Normen zu brechen und sein Leben zu stabilisieren. Die Texte aus The Red Notebook stellen eher ein Hörspiel dar. Hier spricht Auster in einen string resonator - so dass ein Teil des Textes wie in einem riesigen, weiten Raum zu erklingen scheint. So entsteht der Eindruck eines ständigen Wechsels von inneren und äußeren Räumen.
Die Musiker sind links und recht auf der Bühne platziert, in einer Art spitzen gleichschenkligen Dreieck auf die Leinwand zulaufend, und die Musik bewegt sich meistens an einem Punkt zwischen diesen beiden Gruppen. Außerdem gibt es zwei Musiker, bei denen ich Live-Elektronik anwende, so dass die Musik manchmal von ihrem ursprünglichen Ort weg in den Zuschauerraum projiziert wird. Alle Ebenen sind einem ständigen Wechsel unterzogen. Und wenn z.B. Songfragmente aufgegriffen werden, die Georgette Dee vom Video singt, so ist dies, als ob Wind Erinnerungen von bereits Dagewesenem herbei wehen würde. Diese Songs, die ich nach Texten von Andrew Patner komponiert habe, handeln vom Leben an sich und der Suche nach Liebe.

DGF: Zunächst galt es für mich, die Beziehung von Bühne und Leinwand zu erschließen. Dies ist immer noch eine offene Frage und bisher hat noch niemand eine wirkliche Antwort darauf gefunden. Es gibt viele Wege, den dreidimensionalen und den zweidimensionalen Raum zu verbinden: den Echtzeit-Raum und den Raum mit zeitlichen Auslassungen. Dann gibt es auch ganz einfach technische Probleme, wenn Musiker, Video und Licht auf der Bühne sind: Das Licht ist zu hell, so dass das Video nicht mehr erkennbar ist oder das Video ist zu stark für eine gute Ausleuchtung der Bühne. Also dachte ich mir, dass es interessant wäre, diese Parameter zu verknüpfen und die Musiker zu einer Art weiteren Leinwand für das Licht zu machen und sie so mit Georgette Dee auf der Leinwand zu verbinden oder auch sie völlig davon abzutrennen. Ganz zu Beginn hatte ich noch die Idee, dass einer der Musiker wie Paul Auster aussehen sollte. Doch dann gingen die Vorstellungen weg von der dreidimensionalen Bühne zur Leinwand, die den Protagonisten, also Georgette, zeigt und die das Meer, den Un-Ort, aufgreifen sollte. Wir drehten also mit Georgette in Venedig am Strand. Es gibt Momente, in denen Georgette im Video singt und das Rot ihres Kleides die Leinwand, das Meer überflutet und dieses Rot fast auf die Musiker tropft. Auf diese Weise werden die Grenzen zwischen Leinwand und Bühne aufgelöst. So verwenden wir anstelle des Bodens - was unsere erste Idee war - die Musiker auf der Bühne zur Reflektion. Sie sind ganz in weiß gekleidet und werden so zu Teilen der Videoleinwand.

ON: Und ich muss noch anfügen, dass Georgette all den verschiedenen Identitäten nachspürt, die in den Hand-to-Mouth-Texten von Paul Auster vorkommen, die ich ausgewählt habe. Sie hatte keinerlei Vorgaben, außer die drei Songs zu singen, sie war auch völlig frei in ihrer Interpretation. Schließlich ist es aber so, dass die drei Schichten Text, Musik, Leinwand manchmal mit einander verbunden sind und manchmal völlig unabhängig voneinander ablaufen. Worte, Sätze, Bilder und Musik löschen sich gegenseitig aus, kommentieren einander und sollen doch in einer großen Klarheit enden.

Was genau ist auf dem Video zu sehen? Läuft es die ganze Zeit?

DGF: Ja, aber manchmal singt Georgette, ist sehr präsent, dann wieder scheint sie überhaupt nicht wahrzunehmen, was auf der Bühne geschieht, dann wieder versucht sie sehr viel Raum einzunehmen.

ON: Wenn sie die Songs singt, dann singt sie herunter von der Leinwand zum Publikum und ist sozusagen eine der Musiker.

Um noch einmal auf die Musik zurückzukommen: Gibt es eine bestimmte inhaltliche Verbindung zwischen der Live-Elektronik und dem Geschehen?

ON: Nicht nur zwischen der Live-Elektronik, sondern der Musik überhaupt. Zum Beispiel hat die Stimme Paul Austers einen Einfluss auf die Streicher. Die Stimme Austers bringt den string resonator zum schwingen. Die Klangwelt dreht sich dann auch um "d" - eine Referenz zum d der Stimme Austers. Dazu gibt es kontrastierende Teile, die sehr schnell und eher repetitiv sind. Das ganze Werk ist recht komplex, aber das ist nicht negativ, höchstens irritierend. Es gibt viele intermediale Beziehungen. Damit wollen wir auch das Publikum einladen, zu diskutieren. Was nach dieser sehr kompakten Stunde bleibt, ist vielleicht so etwas wie ein enigmatischer Leviathan.

Ensemble Modern