Neue Musik - neue Räume? Konzerthausarchitektur heute

Ein Gespräch anlässlich der Installation Welt erzeugt Klang - 20 Jahre Ensemble Modern in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am 7.

Ein Gespräch mit Arata Isozaki (Architekt), André Richard (Komponist, Dirigent, Klangregisseur und Leiter des Experimentalstudios der Heinrich Strobel Stiftung Freiburg), Claus Spahn (Musikredakteur der Wochenzeitung Die Zeit), Wolfgang Stryi (Bassklarinettist und Saxophonist des Ensemble Modern), Yasuhisa Toyota (Akustikexperte, Nagata Acoustics)

Claus Spahn: Konzerthausarchitektur - das ist ein sehr spannendes Thema, denn: Zwischen Raum und Klang, zwischen Konzertambiente und Hörerlebnis bestehen äußerst enge Wechselwirkungen. Wir beschäftigen uns sehr ausführlich mit der Frage, was erklingt, wenn eine Partitur aufgeführt wird - und wie es klingt, aber die Frage, wo Musik erklingt, oder wo sie adäquaterweise erklingen sollte, diese Frage stellen sich meistens nur die Ausführenden. Im Konzert nehmen wir als Zuhörer die äußeren Bedingungen, die Akustik, die Architektur, die Ausstrahlung des Aufführungsortes usw. als Gegebenheiten hin und finden uns mit den Bedingungen ab. Mir geht es immer so, dass ich in Aufführungen mit zeitgenössischer Musik das Gefühl habe, Konzertraum und Komposition passen gar nicht gut zusammen. Ich erinnere mich z. B. an die Uraufführung von Helmut Lachenmanns Oper ›Das Mädchen mit den Schwefelhölzern‹ in Hamburg. Da kam man nicht umhin, festzustellen, dass die ganze Komposition in ein Haus »gequetscht« wurde, es passte nicht zusammen. Da gab es ein konventionelles Opernhaus, das nach den Vorstellungen von Oper, wie wir sie kennen, gebaut ist und diese Art von neuem Musiktheater, die nicht in diesen Raum hinein passte. Da wurden Umbauten gemacht, da musste ins Parkett hinein gearbeitet und sehr viel am Haus verändert werden. Es blieb jedoch eine große Spannung zwischen Raum und Aufführung. Ähnliche Beispiele könnte man eine ganze Reihe nennen. Wer z. B. schon einmal bei den Musiktagen in Donaueschingen war, wo die Aufführung in Turnhallen oder in der Viehauktionshalle stattfindet, wird auch hier das Gefühl nicht los, dass es ein gewisses Missverhältnis zwischen der Komposition und dem Aufführungsort gibt. Man hatte manchmal das Gefühl von etwas Vorläufigem, obwohl ja in Donaueschingen sehr wichtige Stücke uraufgeführt werden. Man könnte auch sagen, es gibt, denkt man an die Opern von Karlheinz Stockhausen, an Stücke von Pierre Boulez und natürlich auch an die Kompositionen von Luigi Nono, dass die zeitgenössische Musik eigentlich ganz andere Räume herausfordert, als die, welche sie heute vorfindet. Von daher ist das genau das Thema für den heutigen Abend, wenn in der Alten Oper die Aufführung von Luigi Nonos ›Prometeo‹ stattfindet. Alle, die hier am Tisch beisammen sind, haben irgendeinen Bezug zu Luigi Nono und diesem Stück.

Neue architektonische Ideen für die neue Musik sind eigentlich rar. Mir ist das besonders klar geworden, als ich vor zwei Jahren die Neueröffnung eines neuen Konzertsaals in Luzern von Jean Nouvel besucht habe. Dieser Bau für die Luzerner Musikfestwochen mutet von außen ganz kühn an und es gibt einen ganz verblüffenden Effekt: Wenn man diesen Konzertsaal betritt, wirkt er zwar auf eine Art neu, aber gleichzeitig repräsentiert er das klassische Modell aller Konzertsäle - so wie man sie kennt. Im Grunde genommen haben wir hier eine Art »aufmodernter« Version des Wiener Musikvereinsaals: Es ist eine Schuhschachtel, also ein großer rechteckiger Raum, an dem viele Akustikexperten mitgewirkt haben. Darum gilt er allgemein als ein akustisch ganz besonders gelungener Raum, wenn auch in einem tradierten Sinne. Hier kommen wir zu der Frage, ob diese Art von Konzertsaalmodell nicht eigentlich für die Musik, die heute komponiert wird, noch taugt. Warum gibt es keine neuen Ideen, keine neuartigen Konzertsäle? Wie können neue Räume auch zu einem neuen Hören beitragen? Das sind Fragen, denen wir uns heute in dem Gespräch widmen wollen und natürlich werden wir dabei bestimmt auch auf Luigi Nono und den ›Prometeo‹ zu sprechen kommen.

Ich möchte Ihnen die Gäste vorstellen. Da ist zunächst Herr Arata Isozaki, einer der führenden Architekten unserer Zeit, der eine ganze Reihe bedeutender architektonischer Projekte realisiert hat, darunter auch mehrere Konzertsäle. Er hat z. B. ein Bürogebäude in Berlin am Potsdamer Platz oder das Museum of Contemporary Art in Los Angeles entworfen, er ist verantwortlich gewesen für die Festivalplaza bei der Weltausstellung in Osaka 1970, und er hat mehrere Museen für zeitgenössische Kunst in Japan gebaut - man kann diese ganzen Projekte gar nicht alle aufzählen. Ein wichtiges möchte ich noch erwähnen, und zwar ist es das Akijoshidai International Arts Village, das, wie Herr Isozaki bestimmt im Verlaufe des Nachmittags noch genauer erläutern wird, in mittelbarem und unmittelbarem Bezug zu Luigi Nonos ›Prometeo‹ steht, der zu dessen Eröffnung mit dem Ensemble Modern aufgeführt wurde.
Außerdem möchte ich Ihnen vorstellen: Yasuhisa Toyota. Er ist Akustikexperte, sozusagen das Ohr einer weltweit operierenden Akustikfirma, die Nagata Acoustics heißt, und hat am Klang ganz vieler wichtiger Konzertsäle mitgebastelt. Wenn man mit Musikern spricht, dann bestätigen diese immer wieder, wie großartig die Konzertsäle in Japan sind. Herr Toyota ist beim Bau vieler dieser Konzertsäle beteiligt gewesen, wo er die akustische Feinarbeit gemacht hat. So z. B. bei einem neuen Konzertsaal in Kyoto, bei einem neuen Konzertsaal in Saporo, die beide einen ganz ausgezeichneten Ruf haben, und eben auch bei dem Konzertsaal in Akijoshidai.
Dann möchte ich Ihnen vorstellen: Wolfgang Stryi, er ist Bassklarinettist und Saxophonist beim Ensemble Modern, schon ganz lange dabei und war ab 1987 bei den ›Prometeo‹-Aufführungen mit Luigi Nono beteiligt. Der Bassklarinettenpart ist ein ganz wichtiger in dem Stück, den er mit Luigi Nono selbst erarbeitet hat. Er ist also ganz nah an dessen Arbeit gewesen.
Dann stelle ich Ihnen noch vor: André Richard, Komponist, Musiker und Leiter des Experimentalstudios der Heinrich-Strobel-Stiftung in Freiburg. Er war von Anfang an immer an den Aufführungen von ›Prometeo‹ beteiligt - auch heute abend wieder. André hat durch seine Arbeit immer mit den Fragen zu tun, wie etwas in einem Raum klingt. Er hat auch die eine oder andere kritische Meinung sich zu manchen Konzertsälen herausgebildet.
Ich selbst bin übrigens Claus Spahn, Musikredakteur bei der Wochenzeitschrift Die Zeit. Dies ist eine interdisziplinäre Diskussion, bei der Leute, die sehr viel mit Musik zu tun haben und Architekten zusammenkommen. Ich selbst bin selbst gespannt, ob und wie wir ins Gespräch kommen werden.

Vielleicht sollten wir mit einer einfachen Frage beginnen, sozusagen mit einer Art Bestandsaufnahme: Wie gut sind eigentlich die Konzertsäle, die man heute so vorfindet für die zeitgenössische Musik? André, was würden Sie sagen?

André Richard: Dies ist, wie schon angesprochen, ein großes Problem, da sich die meisten Säle nach der musikalischen Praxis des 18. und 19. Jahrhunderts richten. Es gibt natürlich schon Ausnahmefälle, Säle, wo ein gewisser Typus von Musik möglich ist. Das eigentliche Problem der herkömmlichen Räume ist, dass diese für ein gesellschaftliches Ereignis erbaut wurden und damit natürlich in gesellschaftlichem Sinn eine Struktur gefordert haben. So wurde bis heute nie ein Saal entsprechend der ästhetischen Forderungen und Konzepten von Musikern und Komponisten entwickelt. Die Komponisten mussten sich eigentlich immer nach dem Vorhandenen richten. Das sag ich ganz pauschal, auch wenn das so nicht ganz stimmt, denn wir haben ja das Beispiel von Renzo Piano und auch das Beispiel von Akiyoshidai, aber in der großen Mehrzahl mussten und müssen sich die Musiker nach diesen vorgegebenen Modellen richten. Es gab also kein Konzept und man konnte bis jetzt nicht wirklich sagen: Das müsste der Raum des 20. Jahrhunderts sein.

Claus Spahn: Um mal ganz konkret zu fragen: Was sind die Schwierigkeiten, wenn man an Aufführungen zeitgenössischer Musik beteiligt ist, und in einen ganz normalen Konzertsaal gehen muss? Was macht den herkömmlichen Saal für die Kunst nicht optimal für neue Musik?

André Richard: Das erste Problem ist ganz klar, dass es auch in der Konzerthausarchitektur eine bestimmte Richtung gibt. Nehmen wir z. B. die Berliner Philharmonie, wo man in den Raum hinein spielt, es gibt eine eindeutige Richtung und die ist absolut optimiert, so dass sie meines Erachtens sogar verstärkende Wirkung hat. Die Musik, die an einem geographischen Ort gespielt wird, erfährt also durch die Architektur eine Verstärkung. Ich hab das sogar im Kammermusiksaal der Philharmonie erlebt. Mein Chor hat, als wir 1988 mit Nono dort zusammen arbeiteten, im Zentrum gesungen. Wir haben gesagt: Singt ganz, ganz leise. Warum könnt ihr nicht leise singen? Dann hat sich herausgestellt, dass es die Wirkung der Architektur war. Als ich den Chor räumlich ein bisschen versetzte, war er wirklich leiser. Es gibt eine willentlich verstärkende Wirkung der Architektur.

Wolfgang Stryi: Ich kann noch etwas hinzufügen: Als wir auch in dem selben Jahr im Kammermusiksaal der Philharmonie zusammen mit einer Sängerin gespielt haben, bemerkten wir, dass sie im Raum quasi nicht hörbar war. Wir waren immer zu laut und die Sängerin war immer zu leise. Da haben wir durch Ausprobieren festgestellt, dass es diesen Punkt auf der Bühne, relativ im Zentrum, gibt, wo die Stimme automatisch verstärkt wird. Deshalb haben wir unseren ganzen Aufbau verändert und die Sängerin in die Mitte gestellt. Da hat es funktioniert. Es gab ja damals in Berlin um den Kammermusiksaal lange Diskussionen, bezüglich Architektur, Akustik und den Ansprüchen der Musik - wir mussten richtig erforschen, wie wir uns am besten platzieren, so dass nicht das eine Instrument das andere übertönt und die Solisten wirklich hörbar waren.

Claus Spahn: Vielleicht noch ein Beispiel ...

André Richard: Das ist schwierig, da es so viel zu sagen gäbe. Die Komponisten haben sich bis jetzt eigentlich, oder sagen wir bis zum Anfang des Jahrhunderts, um die Frequenz bemüht, d. h. man hat die Tonhöhe bestimmt. Man hat frequenziell, also Tonhöhen geschrieben. Aber ich glaube, im 21. Jahrhundert werden wir den Ton an die Physik binden. Wir werden den Ton nicht mehr so beschreiben wie früher, sondern der Ton wird beschrieben werden als Qualität. Wenn man mich z. B. hier sprechen hört, dann hat dieser Klang eine bestimmte Qualität. Der Komponist wird viel mehr wie ein Maler arbeiten und für jeden Klang mit ganz anderen Parametern operieren müssen.

Claus Spahn: Also - er wird den Raum mitdenken müssen.

André Richard: Genau, er wird nicht mehr nur unbedingt frequenziell seine Partitur festlegen, sondern wie in der Chemie, wo man heutzutage die Farben ganz genau wiedergeben kann, möchten wir Komponisten auch den Klang besser bestimmen können. Das heißt nicht, dass der Musiker ausgeschlossen sein wird, das möchte ich ganz klar gesagt haben, sondern um das zu bewerkstelligen, müssen wir miteinander sprechen. Das sind die Anforderungen, um ein solches Ziel zu erreichen. Außerdem leben wir heute in einem anderen akustischen Umfeld. Wenn ich auf der Straße stehe, kommen Autos, oder Radfahrer, die man nicht hört. Wir müssen den Raum trotzdem wahrnehmen. Deshalb haben die Konzepte angefangen: Nonos Diario Polacco 1, 1958 komponiert oder Stockhausens ›GRUPPEN‹ (1955 -57) oder ›CARRÉ‹ für vier Orchestergruppen und vier Chöre. Das waren erste Antworten auf eine Art des Musizierens, die den Rahmen sprengt, und damit den Raum. Es gibt natürlich Entwicklungen bis in unsere Zeit, aber dann müssen wir immer wieder feststellen, dass wir diese Tendenzen nicht einlösen können.

Claus Spahn: Also, vielleicht muss man da gleich den Akustiker, Herrn Toyota, ansprechen. Es ist doch so, dass in der Praxis, nicht in den Köpfen der Komponisten oder Architekten, zwei Grundmodelle von Konzertsälen existieren: Einmal das weinbergartige Scharounmodell, darunter sehr viele japanische, die nach diesem »Karajanmodell« gebaut wurden, und das Modell Wiener Musikvereinsaal, der Schuhkasten. Wenn man die Akustiker nach diesen zwei Modellen fragt, sagen sie: »Na ja, es gibt einfach nichts Besseres als diese Form des Raums.« Ist das wirklich so, oder sind auch ganz andere Konzertsäle denkbar, Herr Toyota?

Yasuhisa Toyota: Sie haben vorhin die Konzerthalle in Luzern angesprochen. Ich habe dort zwar noch keine Musik gehört, aber ich war schon einmal da, um sie mir anzusehen. Sie haben recht - von draußen, vom Architektonischen her ist sie sehr modern gestaltet. Was allerdings den Klang betrifft, ist sie sehr traditionell gehalten. Das war jedenfalls auch mein Eindruck. Aber was mich noch mehr überrascht, ja fast schockiert hat, war die Berliner Philharmonie. Mein Eindruck dort war viel stärker als bei der Halle in Luzern. Sicher hatte ich schon Abbildungen gesehen, und man geht auch mit Vorkenntnissen hinein, aber das Empfinden, wenn man die Berliner Philharmonie betritt, ist etwas sehr Besonderes. Kein Vergleich zu allen anderen Hallen. Was man dort erlebt, ist schon etwas ganz Besonderes.

Claus Spahn: Also fanden Sie das ganz toll?

Yasuhisa Toyota: Durchaus, das war ganz positiv gemeint. Obwohl ich etwas differenzieren muss. Ich beziehe mich jetzt nicht nur auf Klangwirkungen als Spezialist auf diesem Gebiet, sondern auf das Konzert-Erlebnis: Räumlichkeiten und Klangwirkungen waren außergewöhnlich. Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass das Klangdesign nicht hundertprozentig ist.

Claus Spahn: Wir müssen noch einen Schritt weitergehen, und nicht nur das akustische Detail sehen, sondern das Denken, das hinter dem Konzertsaal steht. Herr Isozaki, welches Denken steht für Sie hinter diesen Konzertsaalmodellen, und natürlich die Frage: Welches Denken ist für Sie der Ausgangspunkt für die Konzertsäle, die Sie gebaut haben?

Arata Isozaki: Als Architekt müsste ich sagen: Der nicht-japanische Musiker, dem ich persönlich begegnet bin, war John Cage, als er dann nach Japan kam. Das war ein Erlebnis, ihn zu erleben. Er ging so völlig anders an die Dinge heran. Er ging zu einem alten japanischen Tempel, wo es eine große Glocke gibt. Wenn diese Glocke geschlagen wird, hören und genießen die Japaner ihre ruhigen Töne eigentlich von weitem. Aber er ging zu der Glocke und stellte sich in diese große Glocke hinein und sagte: Das ist sehr schön. Er hat so den Klang genießen können. Da hab ich schon gelernt, dass da ein großer Unterschied besteht. Einerseits kann man Töne von weitem anhören und draußen bleiben, oder man kann in die Töne hineingehen. Das hab ich von ihm damals gelernt. Er hat ja bei vielen Konzerten als Dirigent mitgewirkt, und ich habe ihn hin und wieder begleitet. Es war immer mein Gefühl, dass er versuchte, mit seinen Tönen das Ganze zu umfassen und dabei spielte es für ihn als Musiker gar keine Rolle, dass die Konzerthalle, die Räumlichkeit, wie ein umgebendes Gefäß war. Dieses bedeutete in seiner persönlichen Philosophie nichts. Insofern war es für ihn egal, wo er spielte: in einer Galerie oder draußen, auch wenn ein gewisser Lärm in der Umgebung war, das störte ihn nicht. Daran konnte ich lernen, dass konventionelle Gefäße als Halle nicht immer unbedingt zwingend notwendig sind und dass in der Hinsicht auch eine neue Methodik denkbar ist.

Claus Spahn: Das ist allerdings eine irritierende Erkenntnis, wenn man als Architekt, als jemand, der diese Gefäße baut, erfahren muss, dass sie gar nicht wichtig sein könnten. Was folgt daraus?

Arata Isozaki: Das war - wie sie sagen - ein Schlüsselerlebnis für mich hinsichtlich der Beziehung zwischen Architektur und Musik, weil damit der bestehende Gedanke einer Konzerthalle gesprengt wurde. Ich hab Cage sehr gut gekannt und wir haben bis zu seinem Tod sehr viele gemeinsame Zeit genießen können. Das bestand zum überwiegenden Teil darin, dass wir zusammen etwas gekocht haben: vor allem Pilze. Als er dann in Japan einen bedeutenden Preis erhalten hatte, wurde aus diesem Anlass ein Symposion veranstaltet. In diesem Rahmen habe ich ihm eine Frage gestellt. Wenn man die Musik im weitesten Sinne erfasst, muss ich als Architekt daran denken, dass ich, wenn ich ein Gebäude errichte, ganz zum Schluss, auf dem Dach ein keystone, ein Schlüsselstein, einbaue, das ist sehr wichtig. Das gleiche könnte man sich auch bei der Musik vorstellen. Wenn ich also in diesem Bildnis weiter spreche, dann habe ich das Gefühl, dass du, so sagte ich damals zu Cage, bei der Musik diesen keystone weggenommen hast. Das war für das normale Publikum sehr verstörend und verwirrend. Du hast das gemerkt, weil viele Leute sich der alten oder klassischen Musik zugewandt haben. Hast du dir dann gesagt: So geht's nicht, ich gebe den keystone wieder zurück zur Musik? Das war während des Symposions. Ob er mich verstanden hat oder nicht, weiß ich nicht. Er war ganz still und hat keine Antwort gegeben, aber hinterher hat er mir zugeflüstert: "Ich glaube nicht, dass ich den Schlüssel zurückgegeben habe". Ich hatte immer das Gefühl, dass Musik, wenn ich Musik als Kathedrale erfasse, zu jeder Zeit einstürzen könnte, so ein Angstgefühl begleitete mich immer wieder. Die Begegnung mit Cage lieferte den Boden, um mich für Nono zu interessieren, für sein Konzept und seine Denkweise.

Wolfgang Stryi: Wenn heute ein Konzertraum gebaut, geplant werden soll, inwieweit denkt man auch an den Musiker? Wir haben ja ganz andere Probleme als die Zuhörer, wir müssen uns nämlich gegenseitig wirklich sehr gut hören, um überhaupt ein Bild darstellen zu können. Das ist ein Thema, das überhaupt noch nicht besprochen wurde und das überhaupt viel zu selten besprochen wird.

Yasuhisa Toyota: Bevor ich auf Ihre Frage antworte, möchte ich noch hinzufügen: Vorhin habe ich von der Berliner Philharmonie gesprochen als epochemachend. Heutzutage gilt sie als klassisch, aber damals war der Bau Aufsehen erregend. Das Gleiche gilt ja, wahrscheinlich wäre es so gewesen, wenn Herr Isozaki mit Herrn Cage zusammen eine Halle gebaut hätte, dass nicht alle davon so begeistert gewesen wären. Und so ist es ja auch mit dem Projekt Akiyoshidai, nicht alle sind da einer Meinung. Es gibt immer unterschiedliche Meinungen, wenn eine Halle gebaut wird. Nun komme ich auf Ihre Frage zurück: Wenn ich von meinen Erfahrungen sprechen darf: Komponisten fragt man recht selten nach ihrer Meinung, wenn man eine Halle konzipiert. Aber in Los Angeles, wo jetzt die Philharmonie gebaut wurde, haben wir Komponisten gefragt, was sie dazu sagen.

Claus Spahn: Das ist die Walt Disney Concert Hall von Frank Gehry, die im nächsten Jahr eröffnet wird.

Yasuhisa Toyota: Das Ergebnis war, dass größtmögliche Flexibilität geschätzt wird.

André Richard: Was Wolfgang gesagt hat, ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe selber Gesang studiert und jeder Musiker weiß, dass man z. B. in einem ganz trockenen Raum ganz große Mühe hat, weil man sich selber nicht so gut kontrollieren kann als Sänger. Das, was vom Raum zurückkommt, ist wesentlich für die eigene Kontrolle. Das ist ein Kriterium, das wir auf die Aufgabenliste setzen müssen. Als Musiker müssen wir uns gut hören können.
Auf der anderen Seite soll aber der Zuhörer möglichst transparent hören können. Dann wäre ein weiterer Schritt, dass wir aus den verfestigten Formen ausbrechen könnten, das nicht nur von vorne gespielt wird, sondern dass man in einem Raum an unterschiedlichen Orten ein musikalisches Ereignis in die Welt setzen kann. Ich habe diesen Begriff gebildet: Topologie der Klangquellen. Das meint eine physikalische Anordnung in einem Raum, also geographische Tatsachen - oben, unten, vorne, hinten - wo Klang erklingen kann. Das sind Bedingungen, die wir für Musik im 21. Jahrhundert brauchen. Es kommt also ganz schön viel zusammen. Dann gibt es natürlich eine ganze Liste von technischen Anforderungen, die ich absolut wichtig finde: Neuen Medien, neue Entwicklungen geben neue Möglichkeiten, zu arbeiten. Ein Raum sollte an unterschiedlichsten Orten ein Switchboard haben, wo man Mikrophonkabel einstecken kann. D. h. für die unterschiedlichsten Punkte im Raum müsste es eine Infrastruktur geben, wo sich Klang übers Mikrophon abgreifen lässt. Die Kabelkanäle sollten natürlich auch überall in Ordnung sein. Ein total vernetztes Haus - das sind Anforderungen, die es bräuchte, damit man sich wirklich ausdrücken kann und als Komponist schöpferisch neue Ideen in einem Raum entwickeln und realisieren kann. Ich bewundere Arata, weil er das in Akiyoshidai verwirklicht hat. Im Parkett sind erstmals mindestens drei verschiedene Aufstellungen möglich.

Claus Spahn: Die Zentralperspektive, hier der Ausführende, dort das Publikum, ist in Akiyoshidai vollkommen aufgelöst.

André Richard: Ja, er wird sicher darüber sprechen.

Claus Spahn: Vielleicht müssen wir das ganz kurz einmal für das Publikum sagen. Ich z. B. bin auch noch nie in Akiyoshidai gewesen.

André Richard: Man kann dort in einer klassischen Aufstellung ein Kammerorchester hören, man kann aber auch in der Mitte spielen oder an einem anderen Ort nur ein Streichquartett aufstellen - jedes Mal an einem anderen Platz im Raum. Dabei ermöglicht die flexible Bestuhlung immer ein anderes visuelles Zentrum. Außerdem sind an allen Orten in den Balkonen Sitzgruppen geschaffen, die man runterklappen kann, so dass man dort sofort ein Podium hat, um eine Musikergruppe aufzustellen. An jedem Ort, an dem man sitzt, kann man also auch einen Musiker oder eine Gruppe hinstellen. Und nun komme ich noch einmal auf Luzern zurück: In diesem Haus kann man keinen Stuhl wegnehmen. In jedem Stuhl ist die Lüftung eingebaut, also die Klimatisierung - typisch schweizerisch - ich bin Schweizer! Das ist einfach perfekt gemacht: Man hört überhaupt nichts. Aber die jungen Menschen können kein anderes Konzertprogramm hören. In einem Raum, der so viele Millionen gekostet hat, ein neues musikalisches Projekt zu hören, ist unmöglich, weil er einfach verbaut ist und nichts modular, nichts umänderbar ist.

Claus Spahn: Eine Zwischenfrage: Natürlich kommt man sehr schnell an den Punkt, wo man sagt: O.k., dieser Saal in Luzern ist von ganz bestimmten Sponsoren finanziert, von ganz bestimmten Interessen aus geplant und in Auftrag gegeben. Im Rahmen des Lucerne Festivals wird kein Musiktheater gemacht, sondern es treten die bedeutenden Symphonieorchester der Welt, von Berlin über Wien bis Chicago, auf. Für große Konzerte wollte man den besten Saal. Da kann man Unzulänglichkeiten natürlich sehr schnell auf die Auftraggeber schieben und sagen: Es gibt keine guten Konzertsäle, weil die Kommunen, die privaten Sponsoren usw. kein Interesse daran haben, etwas Bedeutendes und Innovatives fürs 21. Jahrhundert zu bauen. Ich glaube, darüber wären wir uns sehr schnell einig, aber an dem Punkt wäre die Diskussion dann nicht mehr spannend. Ich denke, viel spannender ist es, zu fragen, ob es genügend Ideen, genügend Kommunikation gibt oder ob es daran vielleicht mangelt und deshalb nichts Neues entsteht. Akiyoshidai scheint ein Beispiel dafür zu sein, dass man sehr wohl ganz andere Konzepte, jenseits der althergebrachten, umsetzen kann.

André Richard: Herr Isozaki hatte sich zum Ziel gesetzt - wenn ich mich gut erinnere - ein wichtiges Werk aus dem 20. Jahrhundert, in dem Fall Prometeo, zu nehmen und davon ausgehend die Bedingungen erwogen, welche Ansprüche zeitgenössische Musik vorgibt.

Claus Spahn: An einer Stelle hat Herr Isozaki einmal gesagt, dass sein Konzertsaal in Akiyoshidai eine ähnliche Bezüglichkeit hat zu Luigi Nonos Prometeo wie Richard Wagners Parsifal zum Bayreuther Festspielhaus. Es ist also sozusagen ein Paradigma aus der Komposition für den Raum erwachsen. Nur, um das noch mal klar zu machen, Prometeo ist die gedankliche Basis dieses Konzertsaals. An der Stelle möchte ich gerne fragen, wie eigentlich Nono über Aufführungsorte gedacht hat? Er hat sich ja gerade in seiner letzten Phase immer wieder sehr viel mit dem Hörraum, Klangraum, Wanderungen im Klangraum beschäftigt. Ich bin mir nie so ganz sicher, wie wichtig der Raum wirklich für ihn war, denn in gewisser Weise hat er sich ja auch wieder unabhängig davon gemacht, indem er einen Hörraum in jedem möglichen akustischen Raum geschaffen hat.

André Richard: Also, eines ist ganz klar: Nono hat sich aus den Konzertsälen zurückgezogen, weil er dort sein ästhetisches Konzept nicht verwirklichen konnte.

Claus Spahn: War das Resignation?

André Richard: Ja, was heißt Resignation? Er konnte einfach seine schöpferischen Ideen nicht in dem traditionellen Konzertsaal verwirklichen. Nono hat mir persönlich kurz vor seinem Tod noch gesagt, dass man weiter am Raum arbeiten müsse. Für ihn war der Raum nicht nur eine Spielerei. Wir sprechen zwar oft von Raummusik, aber das wird meistens falsch verstanden. Es geht eigentlich nicht nur darum, einen Klang im Raum zu drehen, so wie man das im Prometeo hören kann, sondern um Dimensionen: Wenn ich zu jemandem aus ganz kurzer Entfernung spreche, gibt es einen sehr engen Ton. Ich bin folglich sehr präsent. Es gibt ebenso eine mittlere Distanz und eine ganz weit entfernte Qualität. Diese Dimensionen sind bei Nono fließend, d. h. es gibt entfernte Klänge, was ich bei Nono Dimensionen nenne. Damit hat er ständig gearbeitet, hätte sich aber noch weiter entwickelt, wenn ihm die Zeit dazu verblieben wäre. Deshalb habe ich auch gesagt: In Zukunft wird die Qualität des Klanges viel mehr mit dem Raum verbunden sein. Stellen wir mal als Hypothese auf: »Es ist möglich, den polyvalenten Raum zu schaffen.« Oder es gibt in Zukunft einfach nur den Raum fürs 18./19. Jahrhundert und dann gibt es neue Räume, in denen wir Werke ab Mitte des 20. Jahrhunderts und später aufführen können.

Claus Spahn: Das ist eigentlich die existentielle Frage, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es diese neue Architekturform geben wird, hängt sehr stark davon ab, ob z. B. traditionelle Symphoniekonzerte darin überhaupt stattfinden könnten. Wenn neue Konzertsäle nicht kompatibel sind, dann ist in der augenblicklichen Situation unseres Kulturbetriebs die Wahrscheinlichkeit, dass diese gebaut werden, eher gering.
Ich habe vorhin von der Flexibilität gesprochen, die von Komponisten verlangt worden ist. Das ist auch ein wichtiges Kriterium für den Bau der Konzerträume. Dabei war es aber nicht so gemeint, dass man die Flexibilität schaffen sollte, sowohl klassische als auch Neue Musik in einem Raum spielen zu können, sondern Flexibilität für neue Musik war verlangt.
Insofern ist es ja auch schwierig bis nicht möglich, einen bestimmten Typus für neue Musik als Kriterium aufzustellen, da diese in so unterschiedlichen Ausprägungen existiert. Man kann spezifische Lösungen finden, wird aber nie allgemeine Antworten geben können.

André Richard: Nehmen wir zwei Modelle: Das erste Modell würde heißen: Die Musiker spielen im Zentrum des Raumes und die Zuhörer sitzen darum herum. Das zweite Modell ist: Die Musiker sind um die Zuhörer herum plaziert und die Zuhörer befinden sich in der Mitte. Gibt es die Möglichkeit, einen solchen Raum zu schaffen?

Wolfgang Stryi: Eine Zwischenfrage: Du sprichst nur von rein akustischer Musik?

André Richard: Es kann auch Musik mit Lautsprechern sein.

Wolfgang Stryi: Aber das ist etwas ganz anderes, das ist das nächste Problem.

Claus Spahn: Also das muss jetzt, glaube ich, Herr Isozaki beantworten.

Arata Isozaki: Sie haben jetzt zwei Modelle genannt, von denen ich denke, dass es zwei Extremmodelle sind. Ich denke, dass eine weitere Stufe daraus zu entwickeln ist. Und davon könnte ich dann am Beispiel von Luigi Nono sogar eine Geschichte erzählen, und zwar: Damals, als er Prometeo gerade komponierte, in der Zeit wurde er nach Japan eingeladen und sollte ein sehr progressives Stück aufführen. Aus dem Japanischen wörtlich ins Deutsche übersetzt heißt das Stück: ›Es gibt keinen Weg zu gehen, dennoch muß man gehen‹.

André Richard: ›Non hay caminos, hay que caminar‹ ... Andrej Tarkovskij - ›Es gibt keine Wege, es gibt nur das Gehen‹.

Claus Spahn: Eine der großen Kompositionen aus der späten Phase in Luigi Nonos Schaffen.

Arata Isozaki: Die Aufstellung bei dieser Aufführung ergab bereits eine weitere Form, die als zukunftsweisende Möglichkeit zu erwähnen ist. Damals hat er in der Mitte der Halle Musiker platziert und des weiteren wurden etwa sechs Gruppen von Musikern oben im Raum verteilt. D. h. in der Mitte unten war eine Musikergruppe, dann kommen die Zuhörer und auf der zweiten oder dritten Stufe oben sind noch mal sechs Gruppen von Musikern aufgestellt. Das würde ich dann wie gesagt als weitere Form zwischen den Extremmodellen sehen.

Yasuhisa Toyota: Da müsste ich noch etwas zu den Ausführungen von Herrn Isozaki ergänzen. Luigi Nono ging damals vor dem Konzert zur Suntry-Hall und hat den Klang ausprobiert. Danach hat er sich gesagt, wenn der Raum so ist, möchte ich so ein Stück komponieren, das war die Reihenfolge. Aus meinen Erfahrungen kann ich schon sagen, dass nur wenige Komponisten sich in der Komposition am gegebenen Raum orientieren, das ist die Minderheit.
Da muss ich in diesem Zusammenhang ein weiteres Beispiel bringen: ›Rebonds‹ von Boulez sollte in Japan aufgeführt werde. Boulez versuchte damals, einen passenden Raum zu finden, hat jedoch keinen gefunden und musste auf eine normale Konzerthalle zurückgreifen. Dabei ist allerdings zu erwähnen: Er hat das Orchester in der Mitte und sechs Solisten um den Raum herum plaziert, wobei jeweils gegenüber dem Solisten ein Lautsprecher aufgestellt wurde. Insofern gab es eine gewisse Ähnlichkeit zu Luigi Nono, aber auch einen großen Unterschied: Während Boulez sehr eindimensional, also auf einer Fläche bleibt, mussten bei Nono unbedingt dreidimensional bestimmte Höhenunterschiede vorhanden sein.

Arata Isozaki: Ich habe von André sehr gut lernen können, was Prometeo verlangt, nämlich dass die Töne diagonal strömen müssen und sollen. Das lässt sich auf einer Fläche natürlich gar nicht realisieren. Als Architekt habe ich mir das gut gemerkt.

Claus Spahn: Mir geht noch, wenn ich gerade da einhaken darf, das Statement von Herrn Toyota im Kopf herum. Sind wir heute in der Situation, dass eigentlich jeder Komponist seinen eigenen Konzertraum bräuchte? Ist das ein Phänomen unserer zersplitternden Moderne, dass wir sozusagen einen Stockhausen-Konzertraum bräuchten, einen Luigi-Nono-Konzertraum, einen für Hans Werner Henze? Das wäre ja schon eine sehr schwierige Erkenntnis. Wie kommen wir damit klar, ist da der Boden der Verbindlichkeit unter unseren Füßen weggezogen?

Wolfgang Stryi: Das glaube ich nicht. Akiyoshidai ist für mich ein optimaler Raum - auch jenseits des Prometeo. Er fasst allerdings nur 400-500 Zuschauer. Wäre es denkbar, dass dieses Konzept vergrößerbar ist auf 2000-3000 Leute?

Arata Isozaki: Ja, ich würde gerne größere Räume realisieren.

Wolfgang Stryi: Diese Frage geht noch weiter: Was ist, wenn man einen großen Saal hat, in dem Kammermusik aufgeführt werden soll? Gibt es hier Möglichkeiten der Raumteilung etwa oder, wie es Renzo Piano für Prometeo machte, ein Innenteil, das man mit auf Tournee nehmen kann? Und schließlich: Ist Holz nach wie vor das beste Klangmaterial?

Arata Isozaki: Wenn ein Thema oder eine Aufgabe definiert wird, gebe ich als Architekt natürlich mein bestes. Seitens der Architektur sind viele Möglichkeiten gegeben und wir versuchen, neuen Anforderungen gerecht zu werden. Nur wenn ein Raum für Musik geschaffen werden soll, müssen wir auch die Klangwirkungen im Kopf behalten. Da stehen Klangspezialisten in größeren Schwierigkeiten, denn normalerweise ist die Grundlage für die Analyse, dass irgendwo ein Mittelpunkt bestimmt wird und das ist der Platz für den Dirigenten. Von dort aus sollen die Töne in bestmöglicher Qualität in die Halle gelangen. Diese Methode müssen wir modifizieren, wenn wir andere Hallen bauen sollen.

Yasuhisa Toyota: Die Schwierigkeiten für Klangspezialisten hat Herr Isozaki angesprochen, aber ich bin da sehr optimistisch, denn als man z. B. die Suntory-Hall gebaut hatte, hatte man nicht im Traum daran gedacht, dass Nono kommen und ein Stück für diesen Raum komponieren würde. Aber es hat funktioniert. Sicherlich ist es nicht so, dass Nono für jeden Raum, den er angetroffen hat, ein passendes Stück komponierte, sondern diese Halle hat ihn angesprochen. Gerade darum denke ich, dass es ein Soll-Schema gibt, wie ein neues Konzerthaus aussehen muss. Es muss ein gegenseitiger Prozess sein, dass Musiker, Komponisten, Architekten und Klangspezialisten miteinander sprechen und sich gegenseitig stimulieren sollen: Wie kann denn ein neuer Raum aussehen und was für ein neues Stück kann darin gespielt werden? Gefragt ist ein Dialog und daraus entwickelt man gemeinsam etwas Neues. Bei jedem Raum könnte man die Erfahrungen weiter entwickeln und einbringen.

Wolfgang Stryi: Ist Holz nach wie vor das beste Klangmaterial?

Yasuhisa Toyota: Wenn man nur die Klangwirkung berücksichtigt, würde ich persönlich so antworten, dass es nicht immer richtig ist Holz zu nehmen, auch wenn man von vielen Künstlern hört, dass es das beste Material sei. Ich möchte aber für eine gute Klangwirkung alle anderen Materialien nicht ausschließen. Nicht jedes Material ist geeignet. Holz ist gut, aber es gibt andere Möglichkeiten. Wichtig ist, dass wir nicht nur hören, sondern auch sehen. Holz ist ein Material, das uns sehr nah ist, eine fast familiäre Wirkung hat. Die emotionale Wirkung eines Material müssen wir auch berücksichtigen. In dem Sinne ist Holz sehr wichtig.

Arata Isozaki: Ich möchte Sie zum Lachen bringen: Ich habe eine kleine Konzerthalle in Nara gebaut. In der Halle ist das Besondere, dass ab einer bestimmten Höhe alles aus Glas ist. Als ich sagte, wir machen das alles schön aus Glas, meldete sich Herr Toyata gleich und sagte: Nein, nein, das ist nicht möglich! Herr Toyota gab zu bedenken: Wenn überall Glas verwendet wird, sind die Töne sehr hart. Nachdem wir haben eine zeitlang diskutiert hatten, stimmte er zu, es zu realisieren, da das Glas erst auf einem bestimmten Niveau beginnt, darunter ist Holz.

Yasuhisa Toyota: Ich habe meinerseits in die Decke kleine Wölbungen angebracht, damit die Töne nicht direkt wieder nach unten abgestrahlt werden, sondern in der Decke kleine Wege nehmen, bevor sie das Publikum erreichen. In Amsterdam gibt es auch eine kleine Halle aus Glas für Kammermusik. Auf einer wissenschaftlichen Tagung ging es um die Frage: Wie ist der Klang in einer Halle aus Glas? Die Antwort lautete: Der Klang ist auch sehr transparent! Wir haben zwar gelacht, es sagt aber sehr viel über das Visuelle aus, das uns auch im Hören beeinflusst! Wir können das, was wir sehen und hören, nicht mehr auseinanderhalten. In diesem Sinne: Holz ist ein gutes Material.

André Richard: Ich bin eigentlich ein bisschen frustriert wegen unserer Situation als Künstler: Es ist doch so, dass wir innovativ sind. Es gibt neue Medien, wir schießen Satelliten ins All, telefonieren mit dem Handy, und auf musikalischer Seite wollen wir immer noch im 19. Jahrhundert sein. Jedes Mal, wenn Künstler etwas erfinden, muss das Theater hinterherziehen. Fast kein Theater hat bezüglich Tontechnik eine gute Infrastruktur, dabei gibt es so viele Stücke mit Tonband. Die Institutionen hinken immer hinterher. Künstler können sich von Räumen inspirieren lassen, wie Herr Toyota und Herr Isozaki gesagt haben. Wir können als Künstler auf Gegebenheiten reagieren. Aber es hat eben auch den Fall gegeben, wo ein künstlerisches Projekt am Anfang steht, wie in Bayreuth oder bei Nono und Renzo Piano, und aus dem Nichts entsteht. Aber diese Chance haben wir eigentlich nicht und das macht mich traurig. Ein Komponist hat einfach die Mittel in unserer demokratischen Gesellschaft nicht, um zu sagen, ich benötige jetzt 2-3 Millionen, damit ein Ort geschaffen wird...

Claus Spahn: Mit 2-3 Millionen wäre es ja nicht getan, da wären vielleicht die laufenden Kosten gedeckt.

André Richard: Ja, schon. Das heißt also, man kann nur noch das Musical XY machen, weil dort das große Geld hinter steckt. Aber wir in unserer Kunstmusik können nur noch reagieren. Aber können wir sagen: Ich habe diesen Wunsch, ich brauche das für meine Musik?

Claus Spahn: Vielleicht würde ich deinen Pessimismus teilen, stelle aber dagegen, dass es Anzeichen gibt, die optimistisch stimmen: Dass Prometeo an einem Ort der Welt, der zugegebenermaßen von Frankfurt sehr weit weg ist, in Japan, Architektur generiert hat, das ist doch ganz einzigartig. Wie auch immer das zustande gekommen ist und wer auch immer das Geld gegeben hat. Genauso könnte man auch das Ensemble Modern als Institution angeben und sagen, hier wird sehr kontinuierlich und sehr innovativ mit neuer Musik und gegen die Widrigkeiten der Realität gearbeitet. Heute Abend findet die Aufführung von Prometeo in der Alten Oper statt, die architektonisch und akustisch kein interessanter Saal ist - trotzdem findet diese Aufführung statt. Du hast natürlich recht, aber es bringt uns nicht weiter. Am Ende sind es die Kulturpolitiker, die nicht bereit sind einen neuen Konzertsaal - in Berlin z. B. - oder ein Musiktheater für das 21. Jahrhundert zu bauen, was eine gute Idee wäre.

Ensemble Modern