Zum Tod von Peter Eötvös

Wir trauern

Mit großer Trauer haben wir vom Tod von Peter Eötvös erfahren, der im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Mit ihm verliert das Ensemble Modern einen Freund, einen Weggefährten, einen großen Komponisten, Dirigenten und Lehrer. Wir sind in Gedanken bei seinen Angehörigen und trauern mit ihnen.

anspruchsvoll verständnisvoll
fantasievoll präzise
ausdrucksstark
großzügig
tiefgründig
menschlich

Danke, Peter, für Jahrzehnte wunderbarer Musik und Freundschaft.

Eva Böcker, Cellistin des Ensemble Modern


Lieber Peter,

ich war 24 Jahre alt, als ich, frisch von der Uni, in deine lehrmeisterlichen Arme fiel.

Ton ist nicht gleich Ton, das war schon klar, aber Einschwing- und Ausschwingvorgang, Obertonanteile als geeignetes Mischverhältnis zu anderen Instrumenten, exakte Länge, Qualität, Ausrichtung, Projektion bei Anton Webern im Unterschied zu Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez – stetes Wiederholen dieser Übungen an einem (!) Ton - über Tage ... lieber Peter, das war nicht leicht. Aber Leichtigkeit, so wie Du sie verstanden hast, würde sich eh erst nach perfekter Durchleuchtung aller Parameter einstellen, so jedenfalls habe ich Deine Auffassung zum Musikmachen immer verstanden.

Und so bin ich, über die folgenden Jahrzehnte, in den Genuss gekommen, an Deinen Analysen und Interpretationen teilzuhaben, hautnah, denn Du hast uns sehr lange als Dirigent begleitet und damit geprägt. Du hast uns die Grundlagen vermittelt, ein gutes Ensemble für (Neue) Musik zu werden. Dafür bin ich Dir - und ich glaube ich darf das im Namen aller sagen - dankbar!

Natürlich haben wir über die Jahre nie den Kontakt verloren, erst vor ein paar Monaten traf ich Dich wie so oft milde und zufrieden lächelnd, Hand in Hand mit Deiner liebevollen Frau Maria.

Im Weitergehen riefst Du mir noch zu: „Ich mache immer so weiter, bis ich umfalle“! Das waren Deine letzten Worte, und sie klangen absolut überzeugend.

Uwe Dierksen, Posaunist des Ensemble Modern


Es sind Töne und Bilder, die mich an Peter Eötvös binden:

„Arbeiten wir“

Das erste Bild – ein Projekt in Paris, (1983), die Werke waren u.a. „Kontrapunkte“ von K.H. Stockhausen und ein vertrackt schweres Werk von Yann Diederichs. Wir, alle noch Studenten und Studentinnen, standen rauchend vor dem Probensaal, ebenso cool wie leicht angespannt, denn DER Peter Eötvös sollte uns zum ersten Mal dirigieren.

Er kam, relativ schnellen Schrittes, langer Mantel und eine Art Fellmütze auf dem Kopf, er sah niemanden an, eilte durch den rauchenden Pulk und sagte nur: „Arbeiten wir“. Relativ leise und mit diesem markanten „r“. Das war eine Ansage, die ich nicht vergessen werde. Ich kann mich im übrigen nicht daran erinnern, dass er jemals wirklich laut wurde.

Das gleiche Projekt, die ersten Töne: Plötzlich war die komplexe Musik klar und verständlich, sein Dirigat folgte der musikalischen Erzählung; kein mathematisch-kalkuliertes Abarbeiten der seriellen Technik, sondern in Schlaggröße und Unterteilungen dem musikalischen Fluss und den Klangfarben der Kontrapunkte folgend.

In vielen weiteren Programmen des Ensemble Modern, insbesondere dem “Opus Anton Webern“ (1983), in dem alle Ensemble- und Kammermusikwerke Anton Weberns mit Peter einstudiert wurden, profitierte das junge Ensemble ungemein von seiner profunden Partiturkenntnis und der Zeichengebung, der akribischen Interpretation vor allem im Bereich der Dynamik und Artikulation. Diese setzte DEN wichtigen Grundstein für die musikalische Ausnahmestellung des Ensemble Modern.

„Wie kann ich helfen?“

Peters Frage an uns bei kleinen, mittleren und großen Fehlern wurde fast ein geflügeltes Wort unter uns Musikern und Musikerinnen. Sie zeugt von dem wahren Verständnis des Dirigenten als gleichrangigem Partner während des gemeinsamen Musizierens. Übrigens oft verbunden mit dem Angebot den Schlag, vielleicht sogar das Tempo zu ändern.

Noch ein Bild, noch einmal Paris (1983):

In der Generalprobe kollabierte meine Brille, eine sofortige Reparatur war unumgänglich. Nach der Probe setzte mich Peter in seinen Volvo und wir fuhren 2 Stunden durch Paris um einen reparaturwilligen Optiker zu finden. Ich habe auch diese Hilfe nicht vergessen.

Peter Eötvös, der Mensch und Musiker war mir immer nahe. Er hat mein musikalisches Werden wie wenige andere beeinflusst. Dafür bin ich ihm dankbar.

Michael Maria Kasper, Cellist des Ensemble Modern

Peter Eötvös hat das Ensemble Modern in den ersten Jahrzenten geprägt wie kein anderer. Seine Vorstellung über Zusammenspiel, Klang und Phrasierung sind bis heute spürbar. Peter war beharrlich, ohne zu verletzen. Seine Art zu hören ist außergewöhnlich. Ihm entging kein nicht notierter Ton. Sein Verständnis für Intonation ist atemberaubend. Er mochte Miles Davies, er mochte Frank Zappa. Mit ihm machten wir bei Zappa die Varèse-Aufnahmen, die bis heute irgendwo, wohl auch, weil bis zu Zappas Tod nicht fertig geschnitten und gemischt waren, schlummern. Er mochte uns am Anfang auch deswegen, weil er proben konnte. 10-13, 15-18, 19-22 Uhr. Damals sagte er den Satz über Pierre Boulez: Le marteau sans maître: "Ensemble Intercontemporain 1 Probe, London Sinfonietta 2, Ensemble Modern 15 Proben.“ Einmal sprudelte es ihm gegenüber aus mir heraus: “Du bist mein bester Schlagzeuglehrer!“ Er forderte einfach alle musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten und sei es auf einem einzigen Woodblock. In einem meiner ersten Projekte stand er in einer Pause hinter mir, ich übte an einem Schlagzeugaufbau. Irgendwann bemerkte ich diese Person hinter mir und erschrak. Er sagte nur: „Ich lerne.“

Rainer Römer, Schlagzeuger des Ensemble Modern


Lieber Peter,

Ohne Dich wäre das Ensemble nicht da wo es heute ist.

Was für ein Glück, dass Du, von Deiner Position in Paris aus schon in den 1980er Jahren Lust hattest, mit uns „Neue Musik Novizen“ zu arbeiten. Das meiste, fast alles, was man für ein gutes, flexibles Ensemblespiel an Fähigkeiten benötigt, haben wir bei Dir gelernt.

Unvergessen die Arbeit mit Dir am „Opus Anton Webern“, die Zusammenarbeit mit Helmut Lachenmann, György Ligeti, mit György Kurtág und natürlich mit Dir als Dirigent Deiner eigenen Werke.

Immer wieder haben wir solange miteinander gerungen, bis sich das Gefühl einstellte, jetzt sind wir drin im Werk.

Auch als persönlicher Freund hattest Du immer Zeit für einen. Nach einer Frage von mir, ob ich Dir „Memoria“l von Pierre Boulez vorspielen dürfte, waren nach dem ersten Vorspiel auf einmal 5 Stunden rum. Danach brachtest Du mich mit dem Auto zum Bahnhof, legtest eine Kassette ein und sagtest: „Tolle Musik“. Es war Musik von Frank Zappa.

Umso schöner, dass wir einige Jahre später mit Frank Zappa als Produzent das gesamte Ensemblewerk von Edgard Varèse bei ihm im Studio aufnehmen konnten. Ihr habt Euch großartig verstanden.

So wie wir uns mit Dir.

Danke, dass Du Deine unglaubliche Expertise, Dein Können, Deine Liebe zur Musik, Deine Freundschaft über all die Jahre mit uns geteilt hast.

Dein Dietmar

Dietmar Wiesner, Flötist des Ensemble Modern