Greggery Peccary & Other Persuasions

Interview mit Ali N. Askin

Nach dem überwältigenden Erfolg von ›The Yellow Shark‹ geht das Ensemble Modern mit einem neuen Frank-Zappa-Programm auf Tournee. Mit Ali N. Askin sprach Thomas Fichter.

Ensemble Modern: Ali, du bist dem Ensemble Modern-Publikum als Arrangeur für Frank Zappas ›Yellow Shark‹ bekannt. Darüber hinaus bist du aber auch Komponist, Instrumentalist und Produzent und hast beispielsweise gerade in Berlin eine Aufführung eines deiner Hörspiele gehabt.

Ali N. Askin: Ich studierte Komposition an der Musikhochschule München, spielte Piano und Keyboards in Jazz- und Rockbands und schrieb Theatermusik. Heute arbeite ich auch als Komponist für Film und Fernsehen und produziere Hörspiele für den Rundfunk sowie Remixes. Außerdem interessiere ich mich sehr für elektronische Musik jeglicher stilistischen Ausprägung. So schreibe (und/oder programmiere) ich inzwischen Musik für verschiedenste Medien und Gelegenheiten ...

Deine Zusammenarbeit mit dem EM begann lange vor ›Yellow Shark‹. 1991 wurdest du eingeladen, in Los Angeles bei den ersten Proben für ›Yellow Shark‹ dabei zu sein. Dort begann die Arbeit mit Frank Zappa in seinem Haus und Studio ...

Mit dem EM kam ich zum ersten Mal 1989 in Berührung, als ein Kopist für das Projekt mit Anthony Braxton gebraucht wurde. Als Zappa dann für ›Yellow Shark‹ einen musikalischen Assistenten mit Schwerpunkt »Notenschreiben« suchte, holte der damalige Geschäftsführer Andreas Mölich-Zebhauser mich nach Los Angeles zu den Vorproben. Andreas wusste damals noch nicht, dass ich ein großer Zappa-Fan war und viele seiner Platten sehr gut kannte. Das war natürlich bei der Arbeit mit Zappa ein großer Pluspunkt und erleichterte Vieles ... Typisch für ihn war, dass er keine Begrenzungen hinsichtlich Arbeitsaufteilung bzw. -einteilung kannte. Zuerst sollte ich ja »nur« als Notenassistent die Partituren und Stimmen schreiben. Schon bald aber erweiterte sich das Ganze auf Transkriptionen, und schließlich arrangierte/orchestrierte ich einige der Stücke aus dem ›Yellow Shark‹. Dabei war ich immer im engen Kontakt mit ihm (mein Arbeitsplatz damals war in einem Raum seines Studios) und konnte so einen Einblick in seine Vorstellungen, Vorlieben und Verfahrensweisen bekommen.

1996, direkt nach der US-Tour des EM, in der auch Teile aus ›Yellow Shark‹ aufgeführt wurden, fuhren drei Vertreter des EM nach Los Angeles, um mit Gail, der Witwe von Frank Zappa, über weitere Projekte zu sprechen. Wir hatten eine Wiederaufnahme von ›The Adventures of Greggery Peccary‹ vor. Gail sagte uns, dass in einem der Schränke Aufführungsmaterial für diese Komposition läge. Der Schlüssel fand sich nicht mehr, deshalb brachen wir den Schrank auf und entdeckten unveröffentlichte Stimmen und Partiturteile. Dieses Material wird nun von dir in eine neue Gesamtfassung für das EM gebracht ...

Zappa hatte die Angewohnheit, an manchen Stücken immer weiter zu arbeiten und altes Material ständig als Ausgangsbasis für Neues zu verwenden. Dies kann man übrigens sehr schön beim Vergleich von ›Yellow Shark‹ und der gerade erschienenen CD ›Everything is healing nicely‹ hören: Deshalb gab es mehrere verschiedene Quellen für Greggery Peccary. Einerseits das von Dir erwähnte Material, andererseits einen Klavierauszug und natürlich Aufnahmen, die in verschiedenen Formaten und Versionen vorliegen, wie z. B. die einzelnen Spuren des Mehrspurbandes der Aufnahme auf ›Studio Tan‹ und auf ›Läther‹. Da es von Greggery Peccary, meines Wissens nach, keine komplette oder gar veröffentlichte Partitur gibt, zog ich all diese Quellen bei der Arbeit an dem vorliegenden Arrangement zu Rate. Mein Ziel dabei war es, Material mit einzubeziehen, das zwar notiert worden war, aber aus verschiedenen Gründen nicht in der Aufnahme verwendet wurde. Zudem wollte ich Elemente übernehmen, die nicht notiert waren und nur in der Aufnahme vorkommen. Das heißt natürlich, dass man Einiges zu hören bekommen wird, so wie es ursprünglich von Frank Zappa geschrieben worden war!

Im Rahmen von ›Greggery Peccary & Other Persuasions‹ haben wir auch Transkriptionen von Synclavierstücken für das Ensemble Modern vorgesehen. Gail Zappa hat uns die Dateien exklusiv zur Bearbeitung gegeben, und du arbeitest an der Realisierung. Wie sieht die Arbeit aus? Welche Schwierigkeiten treten dabei auf?

Für die Arrangements der Synclavierstücke arbeite ich sehr eng mit Todd Yvega, dem ehemaligen Synclavierassistenten von Frank Zappa, zusammen. Ohne ihn wäre all dies nicht möglich. Er kennt das Synclavier in- und auswendig, schreibt Software dafür und weiß, wie man Dateien findet und diese so modifiziert und »exportiert«, dass sie für weitere Bearbeitung in anderen Computern und Programmen zugänglich sind.

Bei der Arbeit an den Synclavier-Dateien begegnen uns folgende Schwierigkeiten, die es uns erschweren, den Zustand der Stücke, so wie sie auf den CDs zu hören sind, zu ermitteln:
a) Die Stücke wurden auf Mehrspurband aufgenommen und per Mischung und später Bandschnitt weiter verändert (und darüber gibt es keine Aufzeichnungen).
b) Es gibt Tausende von Dateien im Synclavier, und oft existiert ein und dasselbe Stück in verschiedenen Versionen UND Namen. Um die Unterschiede festzustellen, muss man eigentlich alles durchhören, und das kann sehr lange dauern ...
c) Das Synclavier ist mittlerweile ein sehr betagtes System, und bei allen existierenden Geräten machen sich Probleme der Hardware bemerkbar. Dies führt oft dazu, dass immer wieder Teile ausfallen und ausgewechselt werden müssen, so dass das ganze System für längere Zeit brachliegt.

Was ist in deinen Augen (und Ohren) ungewöhnlich an den Arrangements von bereits existierenden Stücken wie ›Revised Music for Low Budget Orchestra‹?

Ob die Arrangements etwas Ungewöhnliches haben, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass Sie etwas erfüllen, das meiner Meinung nach essentiell für Frank Zappas Werk ist, nämlich Genre-Grenzen zu überschreiten (ohne dabei in ein banales Rock-meets-Classic-meets-Jazz-meets-Lyrik-Gesülze abzuleiten), Verfahrensweisen verschiedener (Musik-)Welten unvoreingenommen zu verwenden und bei all dem noch »unterhaltsam« (im ursprünglichsten Sinne) zu sein. Als Beispiel sei ›Revised Music for Low Budget Orchestra‹ erwähnt: Unter anderem wurde hier ein (improvisiertes) Gitarren-Solo transkribiert und für verschiedene Instrumente arrangiert. D.h. nicht nur die notierte Version eines Werkes wurde als Referenz herangezogen, sondern auch Material, das erst bei den Aufnahmen im Studio entstand und wiederum verändert wurde. (Eine Arbeitsweise, die Frank Zappa übrigens schon früh mit den Musikern seiner Bands anhand von Tonband-Manipulationen entwickelte). So werden gerade in diesem Stück auf wunderbare Weise Elemente aus Rock-Musik fließend in eine kammerorchestrale Textur eingebunden (dasselbe gilt auch für Greggery Peccary).

Bereits ein Jahr vor der Uraufführung von ›Greggery Peccary & Other Persuasions‹ trafen wir uns zu Proben, um Teile der neuen Stücke auszuprobieren. Was waren deine Erfahrungen bei diesen Vorarbeiten und warum ist ein solcher Arbeitsprozess wichtig?

Zunächst ist es einfach wunderbar, wenn man die Möglichkeit hat, Arrangements auszuprobieren und zu sehen, wie sich alles »anfühlt«, und dann sofort Gelegenheit hat zu korrigieren, zu feilen. Das mag zunächst wie übertriebener Luxus klingen, aber gerade für die Elemente der Arrangements, die fast unmöglich zu notieren sind (Drum-Set-Part, Rhythmus-Sektion, Keyboards, etc.), und natürlich nicht zuletzt für die tontechnische Arbeit mit Norbert Ommer halte ich so einen großzügigen Zeitrahmen sogar für unabdingbar. Man bedenke nur, dass Frank Zappa für seine 1988-Tour ganze 3 Monate mit seiner Band geprobt hat!

In ›Greggery Peccary & Other Persuasions‹ zeigt sich, dass man auf ganz unterschiedliche Weise komponieren kann. Frank Zappa hat Partituren geschrieben, improvisiert und direkt in den Computer komponiert. Deine Arbeit sorgt nun dafür, daß die Kompositionen, die nicht in Notenschrift aufgezeichnet sind, auch noch nach Frank Zappas Tod wieder von Musikern live auf der Bühne gespielt werden können.

Ja, das ist wunderbar und das Jahr 2000 zeigt jetzt schon, dass das Interesse an der Erscheinung Frank Zappas ungebrochen ist.